Mein theurer Freund! Ich bin seit drei Tagen wieder aus Ungarn zurückgekommen, wo ich einige Wochen mit unserm Freund zusammen gelebt habe. Das Erste was mir in die Augen fiel als ich bei meiner Zurückkunft den Schreibetisch öffnete, war ein Brief den ich an den Tag meiner Abreise von hier (25ten August) an Sie geschrieben hatte damit er den Morgen darauf auf die Post gegeben würde, und richtig vergaß ich ihn bei dem Tumult der Abreise! Verzeihen Sie mir besster Wilhelm! Ein Wunder ist es eben nicht daß man den Kopf so verlieren konnte; es haben ihn noch ganz andre Leute verlohren! – Damals war der Frieden noch nicht gewiß, Fr.[iedrich] hätte vielleicht vom Lauf der Angelegenheiten fortgerissen sehr weit von mir entfernt werden können, und wer weiß auf wie lange Zeit! Eine schöne Gelegenheit ihn zu besuchen bot sich mir an, und ich ergriff sie, ohne viel zu überlegen. „Es war gethan noch eh gedacht“. Ich glaubte in wenigen Tagen wieder zurück seyn zu können, aber es sind Monathe daraus geworden, ehe ich wieder eine Gelegenheit zur Rückreise fand; die größte Zeit hindurch während der Unterhandlungen waren die Wege [2] und sogar der Postenlauf gehemmt, ich musste also ausharren. Jetzt hoffe ich wird Fr.[iedrich] auch bald hier seyn können, sobald nemlich die Gäste sich entfernt haben werden. Freylich war er entschlossen Ihnen zu schreiben, und mir den Brief zur Besorgung mit her zu geben, aber ich glaube der innre Unmuth, der ihn trotz der Gegenwehr beherscht, ließ ihn zu kein Werk der Liebe, und zu keine Gemüthserhohlung recht kommen; auch hat seine Gesundheit leider eben so viel gelitten als seine Seele. An dem Tag meiner Abreise von ihm war er nicht ganz wohl, und noch habe ich keinen Brief von ihm; ich hoffe zu Gott er wird ihn in diesen halb wilden Lande nicht krank werden lassen! – Diesen Morgen habe ich nebst vielen andern, eingefroren gewesenen Briefen, zu meiner unsäglichen Freude auch zwei von Ihnen erhalten. Sehr hübsche lange, freundliche, ausführliche Briefe, die Ihnen Gott lohnen möge, sie waren mir eine wahre Erquikung. Ich habe sie sogleich an Friedrich geschickt und ihn zur Beantwortung des litterarischen Theils derselben aufgemuntert, ich zweifle auch keinesweges, daß er es nicht so gleich thun wird, denn an Anregungen dazu fehlt es Ihren Briefen wahrlich nicht. – Das Gedicht welches Sie so ungern vermissen in der Sammlung habe ich rein vergessen, und da ich den Dichtergarten nicht hier habe, so kann ich Ihnen auch gar nicht sagen [3] aus welchen Ursachen er es wegließ. Das Gedicht an Ritter nimmt er vielleicht ein andersmal, bei einer zweiten Auflage wieder auf; diesesmal musste er schon seinen Grimm, wenigstens auf diese Art etwas Raum schaffen, die Sammlung hätte sonst auf lange Zeit etwas unangenehmes für ihn enthalten. Der 2te Theil wird (wenn es anders noch dabei bleibt) wirklich, wie Sie vorschlagen, seine KunstAnsichten enthalten, und zwar grade so wie Sie vorschlagen. Die Griechen und Römer kommen allerdings mit vielen neuen Zusätzen in die Reihe der sämmtlichen Werke, von der Geschichte der Griechischen Poesie weiß ich aber noch nichts; eben so wenig weiß ich noch wie es mit Lucinde werden soll? Er wird Ihnen sicherlich über alles ausführlich antworten. Aufrichtig gestanden, dieser Orkan hatte uns völlig verhindert unsre Augen zu den ruhigen Gefilden der Kunst zu erheben; wenn das Gemüth so ganz zerstört und in die Gegenwart befangen wird, so bleibt wenig Raum für alles Andre. Aber es wird ja wohl noch anders werden! Ich hoffe zu Gott er wird den Winter Ruhe zum Arbeiten finden. Ob Carl den Vten? wage ich nicht zu versichren. Ich fürchte beinah er ist jetzt zu verstimmt dazu, obgleich Geschichte, und zwar die Oesterreichs immer noch sein Hauptstudium bleibt. Ich wünsche in der Welt nichts weiter als daß Sie mit ihm in ruhigen ungestörten Verhältnissen, ge[4]meinschaftliche Plane ausführen könnten. Bei dem Karl Vten gleich wären Sie ihm von nicht zu berechnender Nothwendigkeit, denn er hat sich nun einmal in den Kopf gesetzt, er habe kein dramatisches Talent; was wäre es also nicht für ein wunderbares Werk wenn Ihr beide zusammen den von ihm vortrefflich construirten Plan ausführen wolltet! und so bei mehreren Dingen. Aber O Gott wie weit ab liegt alles dies von der wirklichen Zerstörung, und von der Zerstreuung von allem was uns auf Erden lieb und werth ist! – Wie es noch ferner mit ihm wird wissen wir noch nicht, der jetzige Minister der auswärtigen Angelegenheiten ist ihm geneigt, auch hat er sonst recht brave Freunde bei dem Departement, wir wollen nun sehen! es wird sich wohl bald entscheiden. Hier bleiben wird er wohl auf jeden Fall dürfen, es ist nur die Frage ob mit oder ohne Anstellung? Es scheint einmal unser Loos zu seyn in Armuth und in der Ueberzeugung der Ungewißheit zu bleiben; damit wir uns nicht zu fest ansiedlen auf dieser Ueberfarth, denke ich; darum nur getrost, lieber Wilhelm, und bitten wir Gott daß uns vergönnt werde, die zeitlichen Leiden zum Heil unsrer Seele zu verwenden! – Daß wir Sie auf so lange Zeit verlieren sollen ist auch ein harter Schlag, der Himmel gebe Ihnen Glück und führe Sie an das Ziel Ihrer Wünsche, so wollen wir uns Ihres Gelingens erfreuen.
[5] Den 9ten. Ich überlese so eben die letzten Zeilen die ich gestern noch in der Nacht geschrieben, und finde daß sie etwas mismuthig ausschauen; ich weiß nicht was mir in dem Augenblick muß gewesen seyn, aber ich bitte Sie um Verzeihung deshalb. Beunruhigen Sie sich nicht unserthalb. Friedrich ist weniger von dem Unglück gebeugt als ich fürchtete, und er wird mit Gottes Hülfe gewiß wieder bald arbeiten. Bis jetzt nimmt ihn freilich die Redaction der Oesterreichischen Zeitung mehr Zeit als billig, besonders finden Hindernisse und Schwürigkeiten dabei Statt, die lächerlich seyn würden, wenn sie nicht zum Ungeduldig werden wären! und wem er selber nicht so viel Theilnahme einflößt, dem müßte es ergötzlich seyn zu sehen wie man einem Riesen ein Kinder Fallhütchen aufsetzen, und am Leitband gängeln möchte; wie man ihm Arm und Beine bindet, und ihm beständig zuruft „nun hau zu!“ Aber es ist merkwürdig wie gut er sich nimmt und wie geschickt; die Freunde sind ganz erstaunt über seine Gelenkigkeit, die sie unter allen Talenten am wenigsten bei ihm vermutheten. Wenn Sie jene Blätter zu sehen bekommen, so wird Sie doch manches freuen was er auch unter den ungünstigsten Verhältnissen zu sagen wusste, und aus jeder Maske schauen doch seine eigne Augen [6] heraus. auch hat er, so oft man ihmʼs nur vergönnen wollte, nach seiner Art so ziemlich mit Keulen hineingeschlagen. – Unser alte Herr, hat recht eigentlich seine Freude an diesen Blättern, und befiehlt ausdrücklich einmal übers andre, daß sie fortbestehen sollen; aber niemand setzt weniger durch in der Familie als eben der alte Herr, und so ist es immer noch ungewiß. – Dieses Ungarn ist ein schönes Land; und was könnte es nicht erst werden! jetzt ist es mehr noch als halb wild. Wie leicht könnte man ihm sein gediegnes Gold gegen kleine Schellen, GlasCorallen, und Stückchen Spiegel abtauschen! aber keiner versteht mit ihnen zu handeln, und ... „heißt mich nicht reden, heißt mich schweigen“ – – – Es ist uns zu Muth wie dem Merkulo im Triumph der Empfindsamkeit, „Himmel und Erde scheinen uns Esel zu bohren“ etc. Die Sache mit Schelling scheint mir jetzt auch sehr malapropos zu kommen. – Verlernt man auch jetzt noch das Schulgezänke nicht? und will wenn furchtbare Erdbeben uns allesammt verschlingen, noch jeder das Seinige suchen? – wenn ich Friedrich recht kenne so wird er nicht besonders gegen S.[chelling] zu Felde ziehen sondern ihn irgend bei einer andern Gelegenheit mit mehreren zusammenfassen. Auf diese Art werden Persönlichkeiten am meisten vermieden, und jeder kann sich seinen Theil heraus[7]suchen. Hat doch Schelling sich richtig herausgefühlt aus dem Werk über Indien, ohne daß er auf das mindeste wäre bezeichnet gewesen. Für Eins ist mir bange bei dieser Sache; nemlich daß Schelling nicht eher ruhen wird bis er Friedrich zwingt seine Philosophie ans Licht treten zu lassen, und dagegen bin ich ganz entschieden, und werde mich nimmer trösten wenn es dennoch geschieht. Friedrichs Philosophie ist seine Seele, sein Leben, sie wächst mit ihm, und bildet sich mit ihm so lange er denkt und athmet; sie ist auch eben so die Seele seiner Werke, und darf nicht abgesondert sichtbar werden. Giebt er sie heraus so ist sie von ihm getrennt, muß für sich selber existiren, und nun kann er ihr nichts mehr geben; er muß sich vor ihr hinstellen, sie gegen fremde Angriffe vertheidigen, durch allerlei Fechterposituren von ihr verdrängt werden, bis sie ihm ganz fremd wird, und er sie doch um der leidigen Consequenz willen, nicht wegwerfen darf. – Geht es nach meinem Sinn so kömmt sie als System erst nach seinem Tode heraus; aber freilich wird Schelling ihn durch allerlei Angriffe dazu zwingen wollen daß er eben so geschnürt und festgebannt werde, als er selber ist! – Vor der Hand hat Friedrich auf keinen Fall Zeit sich in dergleichen einzulassen.
Von dem 2ten Theil des spanischen Theaters haben [8] wir hier noch nichts. Auch sind die Exemplare Ihrer Vorlesungen noch nicht an mich gelangt; indessen haben wir sie schon gesehen, Collin ließ sich ein Exemplar davon nach Ungarn senden. Auch diejenige welche Ihren mündlichen Vortrag hörten, freuen sich sehr damit, und finden auch daß sie noch vieles gewonnen haben, durch die sorgfältigere Bearbeitung. Friedrich war entzückt über das was Sie über Aeschylus gesagt haben, und findet die Art wie Sie über den Aristophanes, wie über glühende Kohlen auf den äußersten Fußzehen hinhüpfen äußerst zierlich und anmuthig. – Mich hat die GegeneinanderStellung der drei Oreste bezaubert; belehrender kann nichts sein als Ihre Charakteristik der drei Tragiker. – Collin war betrübt daß Sie seiner Uebersetzung Ihres über Phaedra keines Andenkens gewürdigt haben. – Und zuletzt fanden wir daß Sie in Ihrer Deduction der Tragödie und der Komödie uns die neuesten Begebenheiten sehr witzig auseinandergesetzt haben, die auf eine hohe Tragödie angelegt waren, und durch erbärmliche Prügel zu einer wahren Komödie umgewandelt wurden. Dies erzähle ich Ihnen, damit Sie sehen, daß es uns noch, dennoch, nicht an Scherz und froher Laune in manchen Momenten gefehlt hat. – Ich bin nicht mehr bei Arnsteins, sondern wieder auf ein paar kleine Zimmer gezogen, die ich nun [9] für Friedrich inStand setze, so gut es geht. Ich erwarte ihn um ihn darin zu installiren, dann gehe ich sobald wir eine Gesandtschaft in Dr.[esden] haben dorthin zu meinen Söhnen mit denen einige Zeit zu leben, es immer nothwendiger wird. Von Charlotte werden Sie gehört haben daß man mich während des Krieges dort nicht würde geduldet haben – und doch war ich hier so ruhig und ungestört geduldet! Ja ja lieber Wilhelm, Böotien ist groß! und merkwürdig ist es zu sehen wie sie die Maaßregeln des Herschers übertreiben und tölpelhaft anwenden. – Die Thathandlung des Einsiedlers haben wir in Pesth gedruckt gelesen, in ausführlicher Form, lateinisch und italiänisch. Von der Korrespondenz deren Sie erwähnen haben wir noch nichts gesehen, wenn es nicht die ist, die vor dem Ausbruch des Kriegs auch hier deutsch erschien; oder verstehen Sie unter Correspondenz eben jenes Aktenstück? – Ja mein Bruder Sie haben Recht, wir werden Wunder schauen! Auch erschrickt bloß unsre irdische Natur vor dem was uns als Unglück erscheint; unzufrieden aber dürfen wir, und können wir nicht seyn über das was geschieht! – Sobald ich ausgehe will ich mich nach Knorring erkundigen; jetzt habe ich noch nichts von ihm gehört. Plutarch ist sain et sauf wieder angelangt, und ziemlich desperat. Collin hat zu seiner großen Freude das Leopolds Kreuz erhalten.
Grüß Sie Gott lieber Wilhelm! erinnern Sie sich in Liebe Ihrer
Schwester
Dorothea.
[9] Noch Eins ehe ich siegle. Der Roman Karls Versuche etc der so die Ehre Ihres Beifalls hat, ist nicht im mindesten von Fouqué sondern von einer ganzen Gesellschaft sogenannter Hanswürste, deren Einer Namens Varrenhagen mir hier ein Exemplar davon schenkte; dieser sowohl als einige andre junge Norddeutsche sind gleich nach der Schlacht bei Aspern hergeeilt, und haben Dienste bei der Kaiserlichen Armee genommen, um geschwind auch ihren Theil an deutscher Glorie zu erhalten, und auch hier nicht unbemerkt zurück zu bleiben, so wenig wie an dem Ruhm Deutscher Poesie und Litteratur. Es ist ihnen aber auch richtig unter den Waffen wie in der gelehrten Welt ergangen. Lorbeern gab es nicht mehr für die armen Kinder, aber etwas angeschossen sind sie sämmtlich worden, worauf sie sich geduldig in Gefangenschaft gaben, von welcher sie aber wieder ausgewechselt wurden, und (zu ihrer wirklichen Ehre sei es gesagt) sie sind wieder, (obgleich freywillige) zu ihren Regimentern gegangen. Einer, Namens v. Marwitz, ist an seiner Wunde gestorben, also über diesen will ich mich nun weiter nicht aufhalten, auch soll er wirklich brav gewesen seyn. Diese Gesellschaft also schreibt diesen Roman, wo es ein Gesetz ist, daß jeder die Anlage seines Vorgängers im vorigen Capitel vernichtet und es seinem Nachfolger so schwer als möglich zu machen sucht. Sie sehen also daß wir geistreich genug sind wenn wir zu halben Dutzenden zusammentreten.
Daß die Unger Sie quält mag ihr Gott lohnen; und lassen Sie in der That den Shakespear in fremde Hände gerathen, so weiß ich nicht wie Sie es je verantworten wollen.
Ich habe mit jemand aus München gesprochen, der mir sagte, daß es Tiecks nicht gut dort gienge. Erfahre ich etwas weiters, so schreibe ich es Ihnen sogleich. – Grüß Sie Gott. Was macht Albert?