Aug. Wilh. Schlegel
in Berlin.
Nennhausen am 27. Febr. 1803.
Viel früher, mein theuerster Freund, würde ich Ihre freundliche Zuschrift beantwortet haben, wenn ich nicht der Geschäfte gedacht hätte, von welchen Sie jetzt auf so mannigfaltige Weise umgeben sind. Ich vertröste daher meine Sehnsucht nach öfterer mündlicher und schriftlicher Unterhaltung mit Ihnen auf den Frühling, und sehe vorzüglich dem schönen Osterfeste mit Verlangen entgegen. Für jetzt erlauben Sie mir einige Worte über den Siegfried, und die Art und Weise dessen Thaten darzustellen.
Jemehr mein eigenes Gefühl das Urtheil, welches Sie über den Charakter und die Richtung meiner Poesie gefällt, bestätigt, desto lebhafter wende ich der alten herrlichen Ritterwelt meine Gedanken zu, und habe vorzüglich die Nibelungen mit vieler Liebe zu studiren angefangen. Ich fand darin mancherlei von den letzten Thaten meines Helden, aber die frühern Abentheuer werden nur flüchtig berührt, und ich muss mich deshalb auf das Heldenbuch vertrösten. Es hat mir höchst pathetisch und dem ernsten Charakter des Gedichtes angemessen geschienen, daß die Winke auf das frühe Ende Siegfrieds, und die folgende furchtbare Rache seines Todes auch bei den freudigsten Festen prophetisch hervorklingen. Ich denke diese Stimmen auf mancherlei Weise durch meine Darstellung dieser Thaten tönen zu lassen, und vorzüglich den bedeutungsvollen Traum Chriemhildens von den Falken zu benutzen.
Auch, dächte ich, müßte [2] am Schlusse des Gedichts der letzte Streit im Hunnenlande und der Tod alter Helden zu Siegfriedens Todesrache auf eine prophetische Weise erscheinen, so daß alle ahndungsvolle Klänge die einzeln durch das ganze Werk zerstreut waren, sich hier wie zu einer furchtbaren Symphonie vereinigten. Ueber die nähere Form dieser Weißagung kann ich natürlich vor der vertrautesten Bekanntschaft mit der Sage nichts festsetzen. Das ganze Gedicht aber müßte wohl, wenn die Herrlichkeit aller Gefechte und Feste mit der gehörigen Ausführlichkeit und Würde behandelt werden sollte, nicht blos dramatisch, sondern auch zuweilen episch behandelt werden. Ich habe den Gedanken, die einzelnen Scenen durch eine höchst einfache aber pathetische Erzählung zu verbinden, wozu mir der ernste romantische Gang der Terzine am Besten scheint. So z. B. käme Siegfrieds Fahrt von Island nach den Nibelungen vor, wo er in seiner Nebelkappe ein Schiff allein regiert, und die Menschen am Ufer meinen, es sei der Wind welcher es so gewaltig treibe; so die Geschichte von Günthers Hochzeitnacht; und dann fiele wieder der Dialog in aller altväterlichen Naivetät ein. Ich denke mich so den alten Vorbildern am leichtesten nähern zu können, deren Art und Weise wohl nicht ganz von der hier beschriebenen entfernt ist. Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie mir Ihre Meinung über diese Gedanken mittheilen wollten.
[3] Nächst dem Liede der Nibelungen besteht meine Lectüre jetzt großentheils aus den Gedichten der Maneßischen Sammlung. Die Befolgung Ihres Rathes, meine Bemerkungen aufzuschreiben, thut mir dabei sehr wohl und erleichtert mein Studium außerordentlich. Die Süßigkeit dieser edlen Sänger spricht mich mit stets erneutem Zauber an, je vertrauter ich mit ihrer Behandlungsart der Gegenstände werde. Als die Krone aller, mir bis jetzt bekannten, möchte ich wohl Bruder Eberhard von Saxens Hymne an die heilige Jungfrau nennen, wie es denn auch dem Gegenstande gebührt, da er sich unmittelbar an den Urquell aller Minne wendet.
Außerdem giebt es aber noch so viele Schönheit und Lieblichkeit, daß ich nicht weiß, welche unter diesen Blüthen eines frommen kindlichen Zeitalters man am Ersten nennen sollte.
Ich möchte die Darstellung dramatisch nennen, so innig und persönlich steht alles da, wie denn auch die Minnesinger diese Form sichtlich gern erwählen. Erzählungen habe ich noch nicht angetroffen, wohl aber unzähliche liebliche Geschichten, durch die handelnden Personen selbst aufgeführt. Ich habe einige solche kleine Darstellungen theils nachgebildet, theils selbst erfunden, und werde sie Ihnen nächstens vorlegen.
So eben bemerke ich, daß Sie bei dem aufschieben meiner Beantwortung nichts gewonnen haben. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, sagt ein Sprüchwort mit vieler Wahrheit, wie es nun der lange Brief bestätigt, mit [4] welchem ich Sie heimsuche. Ich eile wenigstens jetzt zum Schlusse, und indem ich Ihnen die freundlichsten Grüße von meiner Frau, wie von allen Bewohnern Nennhausens ausrichte, bitte ich Sie nur noch, mich Bernhardiʼs zu empfehlen, und ihm zu sagen, daß ich mit doppelter Begierde für diesesmal seiner Antwort entgegensehe, da ich darin eine günstige Entscheidung in Betreff des gesuchten Erziehers, oder vielmehr Lehrers zu finden hoffe. Er wird es uns hoffentlich nicht übel deuten, daß wir, im Vertrauen auf seine Freundschaft ihn mit diesem Auftrage beschweren.
Leben Sie wohl und erhalten Sie mir ihre Freundschaft. Ich bin mit Achtung und Liebe ewig der
Ihrige Fouqué!
Eine literarische Neuigkeit aus Weimar möchte ich Ihnen noch mittheilen, (die es aber vermuthlich für Sie nicht mehr ist,) indeß wage ich es auf diese Gefahr: Schiller hat ein neues Trauerspiel geschrieben, die Braut von Messina, es aber erst einem auserwählten Kreise vorgelesen, wozu mein Correspondent nicht gehörte. Doch hat dieser durch die dritte Hand erfahren, daß es mörderlich darin zugeht. Zwei Brüder lieben ein Mädchen. Der eine ermordet seinen Nebenbuhler, und da er nachher erfährt, das Mädchen sei ihre beiderseitige Schwester, entleibt er sich selbst. Es scheint, als wolle Ihre Weißsagung wegen des Alarcos eintreffen. Den Verbrechen wenigstens kann man die Größe nicht absprechen.