Insonders Hochzuehrender Herr Professor!
Dero verehrteste Zuschrift vom 26. v. M., so wie die 4 Louisdʼor habe ich von H.rn Archivar Mejer richtig empfangen, wofür ich meinen aufrichtigen Dank gütig anzunehmen bitte. Ich beeile mich, die Collation Dero geehrtesten Handen zuzusenden.
Sie verlangen eine diplomatische Beschreibung der Handschrift, um daraus auf ihr Alter schließen zu können. – Ich habe zwar den Codicem nicht mehr bey Handen, – doch getraue ich mich folgende Beschreibung zu geben: Die Handschrift ist ein pergamentener Codex in Folio; und noch sehr wohl conservirt. Die Verse sind Columnen-weise geschrieben, – die Schrift ist nett, – die initial-Buchstaben der Abschnitte sind verzieret –. Ueberhaupt ist der Charakter der Buchstaben jener des 13ten Jahrhunderts, und, wie mich ein guter Kenner der Mspten versichterte, ohne Bedenken in den Anfang benannten Sæculi zu setzen.
[2] Der Codex gehörte einstens in die Büchersammlung, die der berühmte Agidius Tschudi seinen Erben hinterlassen, und die vor circa 40 Jahren das Stift St. Gallen an sich gekauft hatte. Da u dort sieht man von dessen eigner Hand im Rande geschriebene Wörter, wo er z. B. das im Texte vorkommende Wort / pazzowe / durch Passau erklärt. p
Auf dem Rüken des Einbandes ist die Aufschrift: Wolframs v. Eschenbach Gedichte. Dieser Titel mag sich in dem Tschudischen Catalog vorgefunden haben. – –
Vor etwa 20 Jahren hatte man diesen Codicem dem H.rn Bodmer in Zürich auf sein Verlangen geschikt; – wozu und wie weit er ihn benutzt habe, ist mir nicht bekannt. In dem nämlichen diken Codice ist auch das Parcival-Gedicht, so wie auch eines von Roland p p.
So viel kann ich Ihnen, Hochgel. H.r Professor, in Rücksicht dieses Codicis dienen.
[3] Uebrigens finden sich in der kostbaren Mspten-Sammlung des Stifts St. Gallen noch manche Handschriften von alt teutonischer Sprache: z. B. Harmonia IV. Evangeliorum Amonii, die Schilterus in seinem Thesauro antiquitatum Teutonicarum sehr mangelhaft herausgegeben, indem ihm 77. ganze Kapitel fehlten, die aber im St. Gallischen Mspt ganz vorfindig sind. Wiederum existiren daselbst in versione Theotisca, Boetius de consol. Philos. – item Organum Aristotelis – item Martianus de nuptiis Philologiæ et Mercurii. p p p Diese Handschriften wären würdig edirt zu werden, und würden einen grossen Folio-Band zu Schilters antiquit. teuton. ausmachen. Vor etwa 12 Jahren, da wir noch im Kloster waren, hatten unser 3. schon an diesem Projekt gearbeitet, – und würden damit vielleicht schon ans End gekommen seyn. Aber nun sind wir vom Kloster u. Bibliothek entfernt.
Sie, Hochgel. H.r Professor, verzeihen mir diese vielleicht überflüssigen Bemerkungen, und lassen mich Dero schätzbarsten Wohlgewogenheit bestens empfohlen seyn, der mit ausgezeichnetem Respect bin und geharre
Des Hozuehrenden Hrn Professors
gehorsamer Dr
P. Konrad Scherer
Beichtiger.
Im Frauenkloster zu Rorschach
Den 12. Septbr 1808.
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