Hier ist ein Brief von Ihrem Bruder, wertheste Freundin, der uns so eben verlassen hat, um nach Weimar zurückzukehren. Er ist seit Dienstags bey uns, leider aber verfehlte ich ihn den ersten Tag, so wie er mich, indem ich hinübergeritten war, um ihn dort aufzusuchen. Ich brachte den Tag bey Goethen zu, dem ich eine Nachricht zu bringen hatte, und den Abend hielt mich theils das sehr schlimme Wetter, theils die Erwartung ob nicht Fr. T. mit Catel, mit welchem er hieher gefahren war, noch wieder zurückkommen würde, vom nach Hause reiten ab, so daß ich erst Mittw. früh wieder anlangte. Wir haben viel über vielerley geschwatzt, ich habe mich seiner Bekanntschaft sehr gefreut, und ihn erstaunlich liebenswürdig gefunden. – Er denkt nicht lange mehr in W. zu bleiben und wird also nächstens bey Ihnen seyn – doch kommt er erst noch wieder hiedurch.
Goethe hat seit meinem ersten Besuche mehre Intriguen-Stücke bekommen, doch scheint bis jetzt nichts recht gutes darunter zu seyn, und er meynt nach diesen Aspekten behielte er seine 30 Duktaen. Eins habe ihn mit dem ersten Aufzuge sehr getäuscht, der außerordentlich leicht und fantastisch geschienen hätte, welches aber nachher ein klägliches Ende genommen [2] Die Prüfung u Entscheidung wird erst vorgenommen werden, wenn die Theaterherrlichkeiten, welche der Besuch der Mad. Unzelmann veranlaßt, vorüber sind, also Anfang Octobers.
Das Wetter ist höchst trübselig, u macht einen fast trübsinnig, doch will ich mich zusammen nehmen, u nun baldigst mit meinem Ion zu Ende zu kommen suchen, zu welchem mir Ihr Bruder Costumes zu zeichnen versprochen hat.
Ich wünsche Nachricht, wie es mit der Bezahlung der Proceßkosten u der Vernichtung der Exemplare steht? Ferner ob das Exemplar vom Sh. für Buri schon bestellt war, als ich hier noch verschiedne Theile davon vorfand.
Leben Sie für heute recht wohl, ich kann für heute nicht mehr schreiben. Erhalten Sie sich bey dem trüben Himmel Heiterkeit und Gesundheit. Die herzlichsten Grüße an Bernhardi.
Ihr
AW Schlegel