Liebster Willhelm.
Ich habe mit Schmertzen, gehoft wieder einmal einen Brief von Dir zu erhalten, aber vergebens. Durch Moritz, der glaubte Du schreibst gerathe zu an uns, hörte ich daß er einen Brief von Dir an Eschenburg zu besorgen gehabt hätte. Auch ist ja nach Deiner ersten Äußerung die Zeit da, da Du zu kommen dachtest. Du kannst dencken daß mir das Anlaß giebt zu mancher ley Gedancken. Wozu ich nun rechte Muße habe. Ich bin seit 4 Wochen Unpas Habe 8 bis 10 Tage im Bette u die andere Zeit im Zimmer zubrüngen müßen, itzo bin ich auf völliger Beßerung, u wenn die Witterung auch beßer wäre, daß ich freyer Luft hätte genießen können, wäre ich schon weiter. Wir haben schon viel Hitze Düre Heßlichen trocknen Wind gehabt. Wovon viele Früchte verdorben Viel bester Sohn kann ich Dir unter diesen Umständen nicht schreiben. Deine Geschwister sind alle gesund von Fritze bekömmst Du ja wohl von ihm selbst Nachricht Mit Carln zieht es sich unerträglich lange hin ehe er erfährt was seine künftigen Arbeiten u seine Einnahme seyn werden. Nun muß es sich entscheiden, da Jehanne da ist, so lange hat die Einnahme noch der Wittbe gehört. Hast Du des Vaters Leben nicht gelesen? Von Schlichtegroll in Jota. Mit vielem was gesagt ist, bin ich un zu frieden, sonst haben sie den Vater [2] recht Liebenswürdig geschildert. Da ich hoffe bald die Freude zu haben Dich zu sehen will ich alles spaaren, Mündlich zu sprechen. Klockenbrüng ist vor ein paar Tagen gestorben, nach den er lange kräncklich geweßen ist. Nun lieber Willhelm Lebe bis dahin wohl. Gott brünge Dich gesund u wohl zu uns
Mutter Schlegel
den 18ten Junius
1795.
[Edierter Text von Josef Körner:]
Liebster Bruder, Du kannst voraussetzen, daß ich Deine Commissionen und Briefe, insbesondre auch den Brief an Eschenburg, immer sogleich richtig und pünktlich besorgt habe; aber Dir nochmals nach Holland zu schreiben, habe ich Anstand genommen, da ich über die Zeit Deiner Abreise in völliger Ungewißheit war; auch haben sich diese Zeit her bey dem Abzuge meines Freundes Stelling, der zu meinem großen Leidwesen von hier nach Syke versetzt worden ist, manche Unruhen und Geschäffte gefunden, die mich am Schreiben gehindert haben. Nach Deinem letzten Briefe, worinn Du mir ein Schreiben an Karl schickst, das auch gleich nach Hannover expedirt worden ist, steht wirklich Deine Abreise sehr nahe bevor. Aber dennoch will ich nicht ermangeln, Dir noch den hier erhaltenen Brief von der Mutter zuzuschicken. Da er gar nichts Besonderes enthält, ist allenfalls nichts daran gelegen, wenn er Dich verfehlt und in fremde Hände kömmt. Wahrscheinlich wirst Du so vorsichtig seyn, bey Deiner Abreise in Muilmans Hause die Verfügung zu treffen, daß die alsdann noch an Dich eingehenden Briefe Dir nachgeschickt werden. Da die Mutter auf diesem Bogen so vielen Platz übrig gelassen hat, so wird es Dir vielleicht angenehm seyn, wenn ich denselben noch benutze. Nach Deinen Äußerungen darf ich mir leider wenig Hoffnung machen, Dich bald zu sehen; aber ich ersuche Dich, den nun un[3]ter uns wieder angefangenen Briefwechsel nicht von neuem in Deutschland ganz abzubrechen, und mir von Zeit zu Zeit, von allem, was Dich betrifft, Nachricht zu ertheilen. Es ist immer noch mein herzlichster und eifrigster Wunsch, daß Dein jetzt gefaßter Entschluß Dich nie wieder gereuen möge. Ich besorge nur, daß Deine Lage Dich zu sehr zu einer journalieren Schriftstellerey hinleiten möchte, ohne Dir günstige Muße zu gewähren, durch ein originales Hauptwerk Deinen Ruhm fest zu begründen. Es ist doch nicht zu läugnen, daß das fatale Journalwesen zum Nachtheil der wahren Cultur erschrecklich um sich greift, alle unsre guten Köpfe zu amüsanten Gesellschaftern der Zeitwelt herabwürdigt, für die Nachwelt raubt, und zuletzt unsre ganze Litteratur verschlingen wird. Deinen Aufsatz über Dante habe ich, so weit er heraus ist, mit großem Vergnügen gelesen; er verräth großes Studium, viele Kunst im Versbaue, und einen sehr richtigen Geschmack in dem so ganz getroffnen antiken, simpeln und ernsten Ton des Dante, und wird gewiß des Beyfalls der Kenner nicht verfehlen. Für die große und schaale Lesewelt ist er freylich, wie sich versteht, nicht berechnet; und an dem Lobe der Nachsprecher, die alles schön finden, was unter Schillers Auspicien herauskömmt, wird Dir auch gar nichts gelegen seyn. Sonst muß ich Dir freymüthig bekennen, daß dieser Dein Aufsatz fast das einzige ist, was mir bisher in diesem Journal Genüge geleistet hat. Man treibt darinn mit einer kantischen Afterphilosophie, die wahrscheinlich Fichte zum Urheber hat, und die noch luftiger ist, als Reinholds seine, den schrecklichsten Misbrauch, und bis zum größten Ueberdruß werden darinn ein[ig]e sehr precäre philosophisch klingende Begriffe herumgeworfen. Selbst der Aufsatz über die ästhetische Erziehung ist nichts als ein glänzendes Gedankenspiel. Und dies ist das Journal, welches in einem so hohen Tone angekündigt, und mit so vollen Backen in der Litteraturzeitung als ein heilsames Regenerationsmittel für unsre Cultur angepriesen worden. Aber freylich ist Schiller der Herausgeber, und wir haben ja in Deutschland einmal privilegierte Genies, zu denen ganz vorzüglich Schil[4]ler und Herder gehören. Unter des letzteren Werken ist auch kein einziges, welches mir völlige Befriedigung gewährte, und er ist ein viel zu unruhiger Polygraph, um etwas Reifes und Vollendetes zu liefern. Ewig Schade, daß Schiller sich mit solchen Projecten abgiebt, statt daß er seine angefangnen Werke fortsetzen und neue Plane zu dauernden Werken unternehmen sollte. Von Fritz habe ich einen Aufsatz über die Dichterschulen der Griechen in der Berlinischen Monathsschrift gelesen. Ich sehe daraus, daß er viel studiert hat; aber ich besorge, daß sein Gedanke von den Dichterschulen, worauf er doch ein ganzes Werk gründen will, nichts als ein witziger Einfall ist. Der Begriff von Schule involviert ganz vornehmlich den Begriff von einem Lehrer, von welchem eine Reihe von Künstlern ausgeht. Theokrit wird gar zu übel abgefertigt, weil er in das gemachte Fachwerk nicht hineinpaßt. Vor allen Dingen wünsche ich, daß Fritz noch seinen Stil sehr ausbilde, der hin und wieder noch sehr verworren und dunkel ist, und daß er sich darinn Lessing zum Muster nehme, auch es nicht wage, eine neue Terminologie in der Aesthetik einführen zu wollen, und von innern und äußern Organen der Poesie u. dergl. zu reden. Alwills Briefe habe ich nun gelesen, und ich verkenne darinn gar nicht die vielen einzelnen Vortrefflichkeiten; doch kann ich es dem Woldemar, der ein so schönes Ganzes ausmacht, gar nicht an die Seite stellen. Das ηθος ist darinn gar zu sehr überhäuft, und das Absichtliche dabey blickt gar zu stark hervor; auch ist der Stil gar zu sehr von Schönheiten vollgepropft. Zwey Flugschriften erregen jetzt hier Sensation: Bülows (des Officiers in unsrer Garde) Dienstentlassung, und Cramers (des bekannten Windbeutels in Kiel) Erklärung über sein Schicksal. Die erste ist gut geschrieben und hat mich ausnehmend interessirt, und es soll mich sehr wundern, was gewisse Menschen dabey für Maaßregeln ergreifen werden. Die letztere Schrift habe ich erst angefangen, sie will mir aber wegen der darinn herrschenden barocken Grundsätze und Sprache noch gar nicht munden. Sonst thut es mir doch wirklich leid, daß der Mann ein Märtyrer für den rechtschaffnen Petion werden müssen. – Nimm mit meinem Geschwätz gütigst vorlieb, lieber Bruder; vielleicht verschafft es Dir auf ein Viertelstündchen Amüsement, über manche Dinge meine Meinung zu hören. Lebe tausendmal wohl. Meine besten Wünsche für Deine nun anzutretende Reise!
Der Deinige
Moriz Schlegel
Harburg d. 22 Jun. 1795