Endlich finde ich, Gott sei Dank, einen Brief von Ihnen vor, liebe Freundin; er macht mir aber gar keine Freude. Er ist von Coppet datiert, ich möchte jedoch wissen, wie es Ihnen in Lausanne geht. Hoffentlich haben Sie auch weiterhin Ihre Briefe nach Luzern gesandt, da ich in fünf Tagen hierher zurückkehre. Ihre Antwort auf diesen Brief schicken Sie bitte nach Bern; ich werde am 17. dort sein und über Freiburg und die Val Sainte zurückkehren, so daß ich richtig am 20. mittags in Vevey bin. Wir könnten dort zusammen zu Mittag essen und abends nach Lausanne zurückkehren, wenn Sie uns die Ehre geben, uns entgegenzukommen. Den größten und vor allem den schwierigsten Teil der Reise haben wir nun hinter uns; was mir jetzt noch am meisten am Herzen liegt, ist ein Besuch bei der Mutter Gottes von Einsiedeln. Ich habe Ihnen von der italienischen Grenze geschrieben und hoffe, daß Sie alle drei Briefe von mir erhalten haben. Wir hatten für unseren Abstieg in das Tal von Uri und unsere Fahrt über den Vierwaldstättersee herrliches Wetter. Abgesehen von dieser Überfahrt und ein paar Stunden bei der Rückkehr über den St. Gotthard, in denen wir geritten sind, haben wir den ganzen Weg zu Fuß gemacht. Heute ist unser erster Ruhetag, und ich genieße ihn in dieser reizenden Stadt. Übrigens ist der Himmel bewölkt, und für den Rigi brauchen wir einen klaren Tag.
Genug von unserer Reise, die Ihnen sicher viel mehr Freude gemacht hätte als Ihr Ausflug von Chamonix aus. Sie tun mir Unrecht, wenn Sie mir die Freude vorwerfen, die ich empfand, als ich diese Reise antreten konnte. Es ging mir infolge des Trubels, in dem wir lebten, die ganze Zeit sehr schlecht, und ich floh vor der Horde. Diese war es gerade, die mich hinderte, mit Ihnen zusammen zu sein. Ich war völlig außerstande zu arbeiten. Dann wollen Sie auch nie glauben, daß man noch andere Dinge nötig hat, um sich glücklich zu fühlen, als die, welche Sie kennen, und daß es für mich eine Entbehrung bedeutet, auf mein Vaterland und meine Sprache zu verzichten. Das ist bestimmt eine Entbehrung, und zwar eine sehr große: ich habe es daran gemerkt, wie gut mir der Aufenthalt in einem deutschen Lande tat. Ja – wenn ich Ihr Leben ausfüllen könnte, würde ich gar nicht noch andere Wünsche hegen können; aber Sie müssen mir selbst zugeben, daß meine Lage außerordentlich unbefriedigend ist.
Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie sich für meinen Bruder interessieren; doch ich glaube, man müßte Lady Temple sagen, daß er der Verfasser der Lucinde ist, vielleicht wäre es auch richtig, ihr nicht zu verheimlichen, daß er dem Katholizismus zuneigt.
Was die Rechtschreibung Alberts und gar seine Schrift anbelangt, so muß man Geduld haben. Derartige Fähigkeiten sind ihm nicht gegeben. Er möchte am liebsten Gemsjäger werden, und wer weiß, ob das nicht der richtige Beruf für ihn ist. Ich tue, was ich kann, damit er durch die Reise in seiner Sprachenkenntnis und in seiner Allgemeinbildung vorwärtskommt. Nach unserer Rückkehr werde ich ihn mit dem nötigen Ernst wieder an die Arbeit bringen, wir müssen dann sehen, was wir erreichen können. Ich ermahne ihn immer wieder, sein Tagebuch gut zu führen, aber ich lese es nicht, weil ich ihm sonst viele Vorhaltungen machen müßte; er würde dann sein Unreines verbessern, und es wäre nicht mehr sein Werk.
Sie hätten gut die Verantwortung für die Druckbogen, die während meiner Abwesenheit angekommen sind, übernehmen und sie dann in meinem Namen zurücksenden können. Aber jetzt mögen sie bis zu meiner Rückkehr liegen bleiben. Ich werde an den Verleger Tourneisen schreiben und ihn bitten, Geduld zu haben.
Sagen Sie doch bitte Herrn de Sabran, ich hätte seinen Brief an Herrn Frachster abgegeben; dieser würde ihm antworten. Ich habe mich sehr gefreut, eine echte alte Schweizer Familie kennen zu lernen.
Montag abend
Albert war auf der Post, aber es war nichts von Ihnen angekommen. Ich fürchte, daß Sie nicht an uns gedacht haben, denn Sie konnten doch darüber nicht im Zweifel sein, daß Sie noch immer Ihre Briefe nach Luzern adressieren mußten. Es wird mir schwer zu glauben, daß ich Ihnen fehle. Sie müssen mir nach dieser Probezeit von drei Wochen darüber die Wahrheit sagen. Legen Sie Ihrer schönen Freundin meine besten Grüße zu Füßen und erinnern Sie Albertine an Ihren treuen Bundesgenossen.
Haben Sie noch keine Pläne für den Winter gemacht? Jetzt ist doch Frieden. Sollte er nicht auch einen Lichtstrahl in unsere Dunkelheit bringen?
Tausend Lebewohl, liebe Freundin!