Hochzuverehrender Herr Geheimerath!
Ew. Hochwohlgebohren haben mich durch Ihren freundschaftlichen Brief vom 22sten Jan. unendlich erfreut. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre gütige Theilnahme an der mir durch Verleihung des rothen Adler-Ordens zu Theil gewordenen, sehr erwünschten und ganz unerwarteten Auszeichnung. Es konnte mir keinen Augenblick zweifelhaft seyn, durch wessen Verwendung dieß Zeichen der Königlichen Gnade für mich ausgewirkt worden sey, und mein Dank hat sich zunächst nach dieser Seite hingewendet. Ich schrieb eben heute an Hrn. Staatsminister von Altenstein, und wünsche nur, daß mein Brief ihn in guter Gesundheit treffen möge. Was Sie hierüber an Hrn. dʼAlton geschrieben, hat mich lebhaft beunruhigt. Wolle der Himmel doch den verehrten Mann dem Staate und uns allen, deren Gönner und Beschützer er ist, lange Jahre im besten Wohlseyn erhalten.
Glauben Sie mir, daß ich den Werth der eben so angenehmen als förderlichen und ehrenvollen Amtsverhältnisse, in welchen ich zu leben das Glück habe, vollkommen zu schätzen weiß. Ich habe mich zu viel in Europa umgesehen, um die Seltenheit von so etwas nicht anzuerkennen. In Frankreich haben sie jetzt ein Ministerium gegen den öffentlichen Unterricht; in England nichts, weder dafür noch dawider; bey uns haben wir ein Ministerium wahrhaft für [2] den öffentlichen Unterricht. Ich glaube in der That, diese vom Mittelpunkt ausgehende, das Ganze mit Einsicht umfassende Sorgfalt für den Anbau der Wissenschaft, Kunst, Gelehrsamkeit und Volksbildung ist einzig in ihrer Art. Was Sie mir von dem in Berlin zu erbauenden Kunstmuseum melden, verdient königlich genannt zu werden, und beschämt, wenn man die Mittel vergleicht, das Englische Parlament. Jetzt hat man doch eingesehn, daß man das Brittische Museum seines Namens würdiger machen müsse, und es wird ein neuer Flügel gebaut. Der Graf Münster sagte ganz witzig, vor dem Ankauf der Elginschen Statuen habe dieses Museum ausgesehn wie der Laden des armen Apothekers beym Shakspeare:
Ein ausgestopftes Krokodil, und Häute
Von misgestalten Fischen, u.s.w.
Das alles dünn vertheilt, zur Schau zu dienen.
Die eigentliche Gelehrsamkeit ist in England auf alte Stiftungen angewiesen, diese darf man in ihrer Bestimmung nicht antasten. Mit den Einkünften von Oxford und Cambridge könnte man, so zu sagen, die ganze Welt unterrichten; nach der jetzigen Verfassung dienen sie zu weiter nichts als eine Anzahl Gelehrter in die behaglichen Lebensgewohnheiten einzuwiegen, welche Inhabern reicher Pfründe eigen zu seyn pflegen. Von der Theologie gilt es noch immer, was Forster sagte, man verstehe in England eigentlich unter diesem Namen den Katechismus. Die Philosophie ist ihnen ganz abhanden gekommen: weil sie Lateinisch und Griechisch verstehen, so meynen sie, sie kennten das classische Alterthum. Der Sinn für die Geschichtliche Erforschung [3] der Vorwelt ist noch gar nicht geweckt. Ich merkte wohl, wenn ich in Oxford und Cambridge etwas skeptisches dieser Art im Widerspruch mit hergebrachten Meynungen fallen ließ, daß es ihnen ganz artig und drollig vorkam, aber weiter keinen sonderlichen Eindruck machte. In den schönen Künsten fehlt es an Geschmack und wahrem Enthusiasmus. Überhaupt schien mir, die einzigen Fächer, worin wirklich intellectuelles Leben rege ist, seyen die physicalischen Erfahrungswissenschaften, und dann das Praktische: die Anwendung der Mathematik und Physik auf die mechanischen Künste, Landbau, Staatsoekonomie u.s.w. Doch lassen Sie, bitte ich, alles obige unter uns gesagt seyn: ich möchte nicht gern undankbar gegen die mir widerfahrne Aufnahme erscheinen. Auch giebt es in England ausnahmsweise denkende Köpfe, denen keine geistige Regionen fremd sind. Ich wurde auf diese Betrachtungen nur durch die Vergleichung mit der günstigen Lage eines Deutschen Gelehrten in Absicht auf wissenschaftlichen Verkehr, Anregung und Aufmunterung geführt.
Was Sie mir über den Bhagavad-Gîta schreiben, ist mir ungemein erfreulich. Ich wußte wohl, daß ich meine besten Leser in Berlin finden würde. Ich habe mir bereits Original-Commentare aus Calcutta verschrieben: sobald ich im Besitz derselben bin, werde ich Hand an die Erklärung des Inhalts legen.
Bey meiner Zurückkunft aus England stand ich an, ob ich nicht einen amtlichen Bericht über den Erfolg einliefern sollte. Ich fürchtete aber den Schein, als wollte ich die Aufmerksamkeit einer mit Geschäften überhäuften Staatsbehörde für Dinge in Anspruch nehmen, [4] welche nur mich persönlich betreffen. Ew. Hochwohlgebohren erlauben mir aber wohl, nach Ihrer freundschaftlichen Gesinnung für mich, Sie von meinen bisherigen und künftigen Unternehmungen vertraulich zu unterhalten, und dabei eins und das andre Anliegen für die Zukunft zu bevorworten.
Was Goethe scherzend vom Dichten sagt, es sey ein lustiges Handwerk, nur finde er es theuer, könnte ich auf das Studium des Sanskrit anwenden. Ich komme mir vor, wie ein verschwenderischer Bibliomane, der, um die Bücher ganz nach seinem Sinne zu lesen, davon für seine eigne Person prächtige Abdrücke veranstaltet. Zwar die vergleichungsweise geringe Auslagen für den Druck des Bhagavad-Gita werden mir wohl bald wieder erstattet seyn. Die Directoren der Ostindischen Compagnie haben ein ihrer Bibliothek angebotnes Exemplar sehr verbindlich aufgenommen, und 40 Exemplare bestellt; wiewohl ich in London und Paris viele Exemplare verschenkt hatte, so ist doch von den dortigen Buchhändlern noch eine Anzahl abgesetzt worden. Ich kann vielleicht eine zweite Auflage erleben, was immer als Beweis einer hervorgebrachten Wirkung erfreulich ist. Mit dem Ramayana (worüber Ew. Hochwohlgebohren das Nähere aus meiner Ankündigung ersehen werden) geht die Sache aber mehr ins große: ich schätze die Kosten dieser Unternehmung auf 8 bis 9000 Thl. Da so viel in den Händen der Buchhändler für ihre Commission kleben bleibt, so müßte ich wenigstens 120 Subscribenten haben, um auf meine Kosten zu kommen. Alsdann gebe ich noch meine Arbeit in den Kauf, wofür ich die Einkünfte von Golconda fodern würde, wenn ich sie nicht aus Lust und Liebe übernähme. [5] Wie die Subscription ausfällt, muß sich bald zeigen: als ich England verließ, war sie noch sehr schwach, aber London war auch noch nicht beisammen. Auf jeden Fall hoffe ich die Unternehmung aus eignen Mitteln bestreiten zu können, weil sich die Auslagen auf eine Anzahl Jahre vertheilen. Nur brauche ich freilich einen Gehülfen, und muß daher dringend wünschen, daß das Ministerium meinem Schüler Hrn. Lassen nach Verlauf des ersten Jahres das bewilligte Reise-Stipendium verlängern, und ihm in der Folge, wenn er fortfährt seine gelehrten Aufträge so gut zu besorgen wie jetzt, Aussichten zu einer Anstellung an hiesiger Universität eröffnen möge. Es versteht sich, daß er zu gehöriger Zeit seine Proben zur Erlangung der Doctorwürde, und für die Habilitation zum Privatdocenten, ablegen wird. Hr. Lassen ist gegenwärtig bei mir: er hat die Gelegenheit benutzt, ohne Kosten die Reise hieher zu machen, indem er zwei von ihren berühmten Vätern (Hrn. Colebrooke und Sir Alex Johnston, ehemaligem Oberrichter in Ceylon) mir anvertraute junge Engländer hieher begleitete. Er wird die Zeit nachher wieder einbringen: für jetzt war es mir sehr erwünscht, die bisher gefertigte Arbeit mit ihm durchgehen zu können. Der junge Johnston ist für Indien bestimmt, und soll nach zwei Jahren in die Lehranstalt zu Hayleybury eintreten: ich habe seinem Vater versprochen, ihm schon vorläufig das Sanskrit zu lehren. Bonn ist durch seine Lage vorzüglich geeignet, Englische Studierende herbeizuziehen, und die Erlernung des Sanskrit kann hiebei als Bewegungsgrund mitwirken. Wir haben hier die Druckschriften; meine Indischen Bücher und was ich als Anfang eines Indischen Kunstmuseums gesammelt, wird [6] doch auch nach meinen Lebzeiten hier verbleiben; und so vereinigt sich manches, um Bonn fortdauernd zu einem Sitze dieses Studiums zu machen.
Ich habe mit wahrer Freude erfahren, daß Hr. Kosegarten nach Greifswald berufen worden ist. Er hat durch Recensionen in der Allg. Lit. Zeitung recht gründliche Kenntniß des Sanskrit bewiesen, nur sah man, daß es ihm an Hülfsmitteln fehlte. So sind also nunmehr alle Deutschen Gelehrten, welche Sanskrit lehren, auf Landes-Universitäten angestellt. Überhaupt glaube ich, daß unserm Vaterlande der Ruhm vorbehalten ist in diesem Fache das entscheidende zu leisten: und dieß ist nichts geringes, da die Engländer so unermeßliche, und selbst die Franzosen manche Mittel vor uns voraus haben. Die Stiftung der beiden Asiatischen Gesellschaften ist recht lobenswerth. Die Pariser hat den guten Willen für den Druck von Elementar-Büchern und Texten die Kosten zu übernehmen, allein sie ist gar zu beschränkt in ihren Geldmitteln. Die Londoner hat beträchtliche Einkünfte, scheint aber nicht diese Absicht zu haben. Sie will Bände von Abhandlungen liefern. Dieß ist nun, wenn ich offenherzig meine Meynung sagen soll, gerade das, was wir am wenigsten bedürfen. Man fördre nur erst die schriftlichen Denkmale des Alterthums ans Licht, unermüdet, im weitesten Umfange, und in wahrhaft kritischen und hermeneutischen Ausgaben! Nachher mag man darüber hin und her streiten wie man will.
In England giebt es manche Orientalisten in andern Fächern; im Sanskrit wüßte ich nur Colebrooke, Wilkins und Haughton zu nennen. Colebrooke ist ein tiefer Denker und ein wahrhaft wissenschaftlicher Kopf; Mathematik, Astronomie, dialektische Metaphysik, das sind [7] seine Fächer. überall geht er auf die Resultate: was man in verschiednen Zeitaltern gewußt hat; er scheint nicht ganz zu fühlen, daß die Form des Vortrags für die Geschichte des menschlichen Geistes unendlich wichtig ist. Die philologischen Mühseligkeiten hat er für sich überwunden, ist aber nicht gesonnen, andern den Weg zu bahnen. Sein Orakel zu befragen, ist immer nützlich; er verweigert es auch nicht, wiewohl er von Natur schweigsam ist, und nicht die Gabe der Mittheilung besitzt. – Wilkins ist ein liebenswürdiger Greis, immer geneigt, über seine Lieblingsgegenstände zu schwatzen; er hat Sinn, und vielleicht er allein in England, für die alte epische Poesie der Indier; aber alles dieß ist bey ihm wie eine freundliche Jugenderinnerung, denn seit langer Zeit hat er nicht mehr gearbeitet, ja nicht einmal die Originale gelesen. Europäische Gelehrsamkeit besitzt er wenig: das beste, was er weiß, hat er in Benáres gelernt. Jetzt unterhält er sich noch damit, alte Inschriften und Münzen zu entziffern, wo er dann zuweilen nach langem Kopfbrechen zu seinem Erstaunen entdeckt, daß er dieselbe Inschrift schon vor etwelchen vierzig Jahren entziffert hatte. Damals hat er auch den Nalas übersetzt, wußte aber kein Wort davon. Zwischen ihm und Colebrooke ist natürlich eine stille Opposition. – Haughton hat gründliche Kenntniß der Sprache, aber keine Belesenheit, es fehlt ihm sogar nicht an Ideen über vergleichende Sprachkunde. Aber er ist kränklich und hypochondrisch: er bedürfte lebhafter Auffoderungen, die ihm nicht zu Theil werden. Alexander Hamilton, der ehemals meinem Bruder in Paris manches mittheilte, nachher Professor in Hayleybury war, hat sich ganz von der gelehrten Welt zurückgezogen. Er war wohl überhaupt nicht sonderlich stark. – In Frankreich ist jetzt der gute Langlès gestorben, und dadurch von der Qual erlöst worden, sich für gelehrter [8] ausgeben zu müssen, als er war. Mein vortrefflicher Freund Chézy ist leider auch kränklich und hypochondrisch, und kann zu keinem Entschlusse kommen. Von seinen Schülern sind bisher nur unbedeutende Versuche ans Licht getreten. – So steht es in Europa: in Asien ist Wilson jetzt der vornehmste, der auch wirklich thätig zu seyn scheint. Indessen sehe ich nirgends außer bey uns Anstalten zu kritischen Ausgaben. Könnten wir nur die Manuscripte herbeyzaubern, um sie bequem zu Hause zu benutzen. In London ist es, bei allem guten Willen der Aufseher, unerträglich beschwerlich.
Sollte die Regierung die Mspte des Hrn. Bernstein, die, nach dem was er mir darüber schreibt, recht schätzbar seyn müssen, an sich kaufen, so dürfte ich vielleicht in der Folge auf deren Mittheilung hoffen.
Ich höre, daß Hr. Bopp Sanskrit drucken läßt. Ohne Zweifel sind die dort gegossenen Devanagari-Lettern längst fertig. Ich wünsche, daß sie eben so gut gerathen seyn mögen als die hiesigen. Der Baron Schilling von Canstadt, der selbst mit Asiatischen Schriften manche typographische Versuche angestellt hat, und neulich einige Tage bey mir zubrachte, konnte die Schärfe des Gusses und die ganze Einrichtung nicht genug bewundern. Nur einige wenige, nicht vollkommen gerathene, möchte ich neu gießen lassen, wenn ich die Matrizen dazu geliehen erhalten könnte. Aber ich weiß nicht, wohin ich mich deßhalb zu wenden habe. Sind diese Druck-Geräthschaften gegenwärtig das Eigenthum der Königl. Akademie geworden?
Allernächstens werde ich die Ehre haben, Ew. Hochwohlgebohren ein neues Heft der Indischen Bibliothek zu übersenden, und da mir mein Freund dʼAlton sagt, daß Ihnen das 2te Heft des ersten Bandes fehle, so werde ich nicht ermangeln es beizufügen.
Mit Schrecken sehe ich, daß schon der zweite Bogen zu Ende geht, und eile zu schließen. Ich bitte Ew. Hochwohlgebohren die verspätete Antwort zu entschuldigen. Sie sehen, es fällt mir eben so schwer aufzuhören als anzufangen, und ich bedarf der Nachsicht in beiden Beziehungen. Genehmigen Sie die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Verehrung.
Ew. Hochwohlgeb.
gehorsamster
A. W. v. Schlegel
Bonn d. 29sten Febr. 1824