• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Leipzig · Place of Destination: Amsterdam · Date: 26.08.1791
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Leipzig
  • Place of Destination: Amsterdam
  • Date: 26.08.1791
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 18‒23.
  • Incipit: „[1] Leipzig den 26ten Aug. 1791
    Deine Frage, warum Du in Amsterdam lebest? kommt mir so vor, als die Frage; warum Du [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34186
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.a,Nr.3
  • Number of Pages: 11 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 19,1 x 11,7 cm
    Language
  • German
[1] Leipzig den 26ten Aug. 1791
Deine Frage, warum Du in Amsterdam lebest? kommt mir so vor, als die Frage; warum Du in der Welt lebest? – Ich hatte gehofft, Du würdest in A.[msterdam] zufriedner seyn als in Gött[ingen]. – Daß Deine Beschäftigungen Deinen Geist nicht erheben glaube ich wohl; erwäge indessen, daß dieß schwerlich irgend eine bürgerliche Beschäftigung thun wird. – Bei Deinem nahen Entschluße, ob Du in A.[msterdam] bleiben willst oder nicht, kann ich Dir gar nichts rathen, als nur langsame Ueberlegung empfehlen. – Ich bitte aber mich von Deinen Entschlüssen zu benachrichtigen; ich bin bescheiden genung um nicht den Rathgeber zu machen, und auch verschwiegen (auch vor der Familie). –
Sehr gerne versetze ich mich mit dir nach Ordingen zu Mastiaux. – Ich glaube wir könnten ihm beide von Nutzen seyn – <denn> er hat sich durch die Philosophie das Herz hie und da etwas verengen lassen. Sein Umgang hat mir die wehmütigste Freude gewährt, und mit eben dieser wunderbar gemischten Empfindung denke ich an ihn zurück. Ich bitte Dich mir einmahl den Verlauf Eurer Bekanntschaft mitzutheilen. Es wird Dir gewiß keine unangenehme Beschäftigung seyn, und mich wird es an [2] eine Zeit erinnern, wo ich zum erstenmale etwas deutlicher voraussah, daß ich ewig unbefriedigt seyn würde.
In den Tagen da ich Deinen Brief erhielt, war eben Pape bey mir, der ganz unerwartet von Carlsbad wieder hier durch kam. Er hat Schiller in Carlsbad gut kennen lernen; da dieser gehört daß Pape Dich kenne hat er ihn gebeten, Dich in seinem Namen zu bitten an der Thalia die ietzt von Neuem unter dem Namen; „neue Thalia“ alle zwey Monate einmal herauskommen wird, Mitarbeiter zu seyn. Es wird für den Bogen nie unter 1 Ldr. [Louisdor] und nie über 2 Ldr. [Louisdor] bezahlt. Die Aufsätze, wenn Du anders den Antrag eingehen willst, darfst Du nur an mich schicken, da ich Göschen recht gut kenne. – Ich bin überzeugt daß Dein Aufsatz über den Dante, in der Thalia mehr Aufsehen gemacht haben würde. Einige Complimente habe ich darüber bekommen, aber von keinem Werth. – Betreffl[ich] Tatters Tadel über die aesthetische Schimpferey, wie er es hart aber kurz nennt, stimme ich ganz überein. – Die scholastischen Gelehrten und einige entêtirte Engländer ausgenommen, hat sie wohl niemand so hoch getrieben als Bürger und Bouterweck. – In einigen [3] Deiner frühern Aufsätze herscht sie etwas; aber in dem über den Dante nach meinem Urtheil nur in sehr wenigen Stellen. – Doch liegt es ein wenig in Deinem Charakter, denn es äußert sich auch im Gespräche: manchmal willst Du den der Deine Schönheit nicht anerkennt, bekehren und wenn er nicht willig ist, beschimpftst Du ihn. – Mit dem Tadel über den Ugolino stimmte ich nicht so sehr überein; die Erzählung könnte vielleicht etwas gedrängter seyn; aber was auf die Stelle selbst folgt ist desto vortrefflicher; es gehört unter das Beste was Du geschrieben hast. – Du weißt daß mir in Göttingen der Anfang nicht zu frappant schien; dießmal war ers mir – wenigstens magst Du der B.[öhmer] danken daß die Käuze weggekommen sind. – Du magst nun überlegen, was Du auf Schillers Antrag thun willst. Pape trug mir auf es Dir vorläufig zu schreiben, als wenn er Dir selber schreiben würde. Alsdenn hättest Du eine erwünschte Gelegenheit zur Correspondenz mit ihm. Du weißt aber daß es auch leicht unterbleiben könnte; Du könntest ihm also gleich schreiben, wenn Du anders die Avancen machen willst. Du wirst Deinen Briefton aber modificiren müssen, wenn die Correspondenz Bestand haben soll – wie das mußt [4] Du selbst überlegen. – Was ich neulich über ihn schrieb, hast Du etwas misverstanden; es ging mehr auf den Eindruck den er auf mich machte. – Denn er gehört mir eben so wohl unter die vortrefflichsten die ich kenne. – Ich wünschte daß er noch viel reisen könnte; er ist ein ganz andrer Mensch als zu Hann[over] wo er durch Familienverhältniße und andre unangenehme Dinge fast beständig verstimmt ist. – Er hat gewiß nie aus Carol.[inen] etwas gemacht; aber ich glaube daß sie nicht ganz gleichgültig gegen ihn ist. CR. [Caroline Rehberg] hat Dir nicht geantwortet und mir zur Gesellschaft auch [nicht]; vermuthlich um mir keinen Vorzug zu geben; denn sie ist mir schon weit über die Zeit einen Brief schuldig.
Von meinem Umgange hier, wirst Du Dir schwerlich die rechte Idee machen können. Er ist ziemlich ausgebreitet aber genauer liirt bin ich mit wenigen, am meisten mit Lieut.[enant] v. Berger, einem Manne von Kenntnißen von Ehre und von Welt-Lebensart soweit ich ihn kenne. Meine Art des Umgangs ist der in Göttingen ohngefähr grade entgegengesetzt um die Sache kurz zu sagen obwohl es mir noch sehr ungeläufig ist. Mit Heydenreich bin ich ziemlich genau liirt. Er ist mehr Gelehrter als Philosoph; und in der Aesthetik hat er sich weder als Philosoph noch als wahrer amatore gezeigt. – Doch [5] faute de mieux läßt sich über Beides nicht ohne Intereße mit ihm reden. – Der Kinderfreund hat viel Welt und ist in der schönen Litteratur doch mit fortgerückt. – Nur einen Menschen fand ich noch hier der Gefühl für Poesie hat – ein Kaufmann, und zwar wußte er das erhabene in Götheʼs Prometheus und Schwager Kronos würdig zu schätzen. Diesen werde ich genauer kennen lernen und Dir ihn schildern. – Ich glaube er hat mehr als er weiß; <denn> er drückt sich nur äusserst schwerfällig aus. – Ich habe Kind gesprochen, da er ein paar Tage zum Besuche hier war. Es ist ganz über meine Erwartung ausgefallen. – Es ist mir lieb, damit es meinen Eltern nicht gereut mich hieher geschickt zu haben. – Ich habe ihn <übrigens> lieber zum Gönner als z. B. Heyne. Ich kenne ihn noch nicht genung um zu wissen, warum er sich so lebhaft für mich intereßirt. Lottchen muß mir Aufschluß darüber geben können. – Hast Du in Holland denn nicht einen gefunden von dem sich etwas schreiben ließe? – Sage mir doch etwas vom gesellschaftlichen Leben in A[msterdam] auch vom Theater. Ich bin bisweilen darum gefragt, wenn die Rede darauf kam, daß mein Bruder der Dichter in Amsterdam sey. Du bist doch ziemlich bekannt. Man hat Dich hier allgemein für den Verfaßer des Alfonso und Richard Löwenherz gehalten; das ich denn allenthalben widersprochen. – Dergleichen Dinge wie Du und ich treiben nennen hier die Leute die [6] schenen Wissenschaften: und davon wollen wir uns ietzt unterhalten.
Mein Studium der römischen Geschichte ist schon seit einiger Zeit geendigt. Ich hatte die Absicht zu versuchen ob sich nicht der ganze eigenthümliche Charakter dieser Nation in der Darstellung eines ihrer Heroen und einer ihrer Catastrophen zugleich in einem Bilde vereinigt geben ließe: ein Kunstwerk, welches die thätigste Wirksamkeit dieser Nation in einem Brennpunkte vereinigen würde. – Allein etwas so ganz fremdartiges läßt sich wohl in abstracto erfaßen, aber es in concreto wieder lebendig zu machen, ist schon meinen Kräften ganz unmöglich. – Doch hat mir die Sache viel Vergnügen gewährt. Ich faßte den Gedanken schon vorigen Winter. – Es lag auch der Gedanke dabey zum Grunde – es mit mehrern Nationen auf diese Weise zu versuchen – den Charakter einer jeden in der höchsten Vollkommenheit zu geben, so weit diese in concreto dargestellt werden kann, um so den Geist durch die Betrachtung der verschiedensten Vollkommenheiten immer höher zu führen. – Montesquieu, Ferguson, und Middleton habe ich gelesen. Letzterer ist mir ausserordentlich brauchbar gewesen. <(Herder enthält viel vortreffliches.)>: die ersteren beyden sind doch etwas pedantisch. Unter den alten laß ich vors erste Plutarch, Sueton und Lucan bis ich die Sache aufgab. (Indessen enthält schon Middleton die reichhaltigsten Auszüge aus allen Schriftstellern über die Zeit wo Cicero lebte). Was indessen den [7] Charakter betrifft, da muß man sich selbst forthelfen; auf alle data die dazu führen können, achten und zwar muß man sich ordentlich Regeln darüber machen; und von dem gefundenen muß man dann ohngefähr weiter schließen. Von einigem Nutzen ist mir ein neues Buch von Moritz; Anthusa (ein Beyname von Rom) oder die Feste Roms gewesen. Es gefällt mir besser als die griechische Mythologie, und wenn er so fortfährt, so glaube ich kann er noch sehr gut werden. – Ueberhaupt aber, beyläufig gesagt, glaube ich möchte er wohl den Winckelmann in der Philosophie und in der Gelehrsamkeit machen; die Manier ist nun wohl da, der Geist aber fehlet. – Man sieht aus dem Buche wie sich die Religion der Römer an ihr thätiges Leben auf alle Weise anschloß, an Ackerbau, Krieg, Rechtspflege und Bürgerpflicht. – Die ganze Arbeit hat mich jedoch bereichert; ich habe lebhaft empfunden, daß es unendlich viele Vortrefflichkeiten giebt und zwar ganz verschiedne und entgegengesetzte und in dieser Rücksicht habe ich an der Geschichte der Menschheit sehr vielen Geschmack gewonnen. Es stößt mir aber hier wiederum eine traurige Bemerkung auf, daß so wenig Gutes darin vorhanden, da doch historische Kenntniß aller Art der Liebling <und der Charakter> des Jahrhunderts ist. – Zum Historiker in jedem Fach gehörten erstlich Fleiß und Treue und Ordnung wie die eines Linné; schon dieses ist selten; aber an der Liebe die nothwendig ist fehlt es fast gänzlich in der allgemeinen Engherzigkeit. –
[8] Von Meßprodukten ist mir besonders merkwürdig gewesen Sakontala ein indisches Schauspiel aus dem englischen von G.[eorg] Forster. Aeußerst intereßant wegen der Fremdartigkeit: es sind viele feine Empfindungen darin; die Charaktere sind ein wenig flach; der Dialog und besonders die Handlung haben einen langsamen matten Gang: überall glaubte ich die Spuren des Climas darin zu entdecken. Die Sache hat Lerm gemacht. –
Dein Urtheil über Voltaire gefällt mir sehr gut. Ich habe seit der Zeit noch alle seine kleinen philosophischen Schriften nebst seiner Lebensbeschreibung gelesen. Er scheint ganz eigentlich von der Natur gebildet um Fehler oder eigentlicher – Wiedersprüche zu bemerken; er fühlt sie allenthalben zuerst, und zwar oft in Dingen und Beschäftigungen, deren Geist er gar nicht einsah, besser als tiefe Kenner derselben. – Etwas in Contrast hiemit steht der wunderbare Enthusiasmus für den Lockianismus, der bis zum ridicule geht. – Ich hatte noch vieles über ihn zu sagen, aber grade in diesem Augenblicke will es sich nicht zu Papier bringen lassen. – Ueberhaupt glaube ich – könnte ich großen Geschmack gewinnen an dieser Art der Lectüre – die Schriften und das Leben eines großen Mannes zusammen zu vergleichen, und mir ein Ganzes daraus bilden. Es kann zu vielen Gedanken Anlaß geben – indem man Alles Bemerkte zusammennimmt, so gut als möglich auf etwas gemeinschaftliches zurückführt, indem man dieß weiter ausführt, [9] wie es in der höchsten Vollkommenheit gewesen seyn würde, – indem man sich zu erklären sucht wie es wurde, und wie es sich nach der jedesmaligen äußern Welt modificirte und an sie anschloß, indem man auf die Uebergänge und Aenderungen achtet, oder die Anomalien zu entdecken sucht u.s.w. – Je nach dem es die Eigenthümlichkeit oder die Stimmung des Betrachters mit sich bringt. – Diese Betrachtung erhebt den Betrachtenden selbst, und wirkt thätiger in ihm als Moral oder das Idealschöne der Künste. Die Moral gibt nur Ideale deren Anschauung ganz unmöglich ist, und die nur in abstracto betrachtet werden können. Da Poesie und Mahlerey gewöhnlich auf Eins concentriren (sey es eine Handlung oder ein Charakter oder eine Leidenschaft etc.) so geben sie die Vollkommenheit in idealischen äußern Verhältnißen <oder geben doch nur ein abgerißnes Stück, nie die Vollkommenheit in einem ganzen Menschenleben>. Das Leben eines außerordentlichen Mannes hingegen zeigt eine Vollkommenheit die in die verwickelten Verhältnisse hineingeschaffen, an ein stets wandelbares Wesen befestigt, und gegen den ewigen Wiederstreit unendlich vieler Wesen geschützt ist. Es erhöht also unser eignes Leben mehr als die höchste der Wissenschaften und das schönste der Künste. Der Stoff und die Vollkommenheit die hineingetragen wird, mögen noch so verschieden <seyn>, so sind doch die Schwierigkeiten die der Stoff macht ohngefähr gleich groß; und in der Ueberwindung derselben [10] besteht doch die Hauptsache. – Ich sollte auch denken, daß dieses Studium Dir angemeßner wäre, als das der eigentlichen philosophischen Wissenschaften. – Ich bitte Dich bey allen Heiligen die Arbeit über den Dante nicht liegen zu lassen. Halte Dich lieber bloß an dieß, an Correspondenz, und wenn Du etwa poetische Laune hast – und laß alle übrige eigene Lectüre, die Dich doch wahrlich nicht so erheben kann wie der Dante. – Für das übersandte danke ich recht sehr. – Die Hieroglyphe – die Priesterin – hat meinen ganzen Beyfall; ein einfaches bedeutungsvolles Symbol. Den Lesern des Almanachs wird es wohl so geheimnißreich seyn als eine aegyptische Schrift. Ich wünsche daß Du Lust zum Abschreiben bekommst. Die überschickten Gedichte die zum Druck sind, werde ich Lottchen mittheilen. – Ich sollte Dir wohl mehr über die Gedichte schreiben; vor einigen Tagen hätte ich es auch gethan; gestern und heute aber bin ich gar nicht poetisch, ich habe starkes Kopfweh. –
Hier ist ein Verzeichniß der Bücher die Du verlangst. Schulting Jurisprudentia Ante-Justinianea. Bachii historia juris. Heineccii Antiquitates Rom. Heineccii Institutiones (ed. Bieneri 80. 1789). Höpfners Commentar und Tabellen über die Heineccischen Institutionen 40. Ohne letzteres kannst Du die Institutionen nicht verstehen. Das Studium des römischen Rechts ist äusserst schwierig und verwickelt. Wenn Du die Instit[utionen] selbst studiren oder Unterricht darin geben willst, so kann [11] ich Dir einige Anweisung dazu geben, da ich mir die Sache sehr angelegen habe seyn lassen. –
Du schlägst mir den Burke über die Revolution zur Lectüre vor. Ich habe den Girtanner gelesen, der sehr gut ist <Layen> eine nicht ganz unvollständige Idee zu geben, da er Auszüge aus den wichtigsten Schriften und Papieren enthält, und er sehr unpartheyisch ist. Die Schreibart gefällt mir nicht vorzüglich. – Die ganze Sache intereßirt mich vornehmlich mittelbar nehmlich als Vehikel des Gesprächs mit sehr vielen Leuten. Ein andermal mehr darüber.
Ich wünschte daß Du mir bald wiederschreibst. Ich reise Michaelis nicht nach Dreßden – und brauche Aufmunterung.
Dein Fr. Schlegel.
(abgesandt den 28ten August.)
[12]
[1] Leipzig den 26ten Aug. 1791
Deine Frage, warum Du in Amsterdam lebest? kommt mir so vor, als die Frage; warum Du in der Welt lebest? – Ich hatte gehofft, Du würdest in A.[msterdam] zufriedner seyn als in Gött[ingen]. – Daß Deine Beschäftigungen Deinen Geist nicht erheben glaube ich wohl; erwäge indessen, daß dieß schwerlich irgend eine bürgerliche Beschäftigung thun wird. – Bei Deinem nahen Entschluße, ob Du in A.[msterdam] bleiben willst oder nicht, kann ich Dir gar nichts rathen, als nur langsame Ueberlegung empfehlen. – Ich bitte aber mich von Deinen Entschlüssen zu benachrichtigen; ich bin bescheiden genung um nicht den Rathgeber zu machen, und auch verschwiegen (auch vor der Familie). –
Sehr gerne versetze ich mich mit dir nach Ordingen zu Mastiaux. – Ich glaube wir könnten ihm beide von Nutzen seyn – <denn> er hat sich durch die Philosophie das Herz hie und da etwas verengen lassen. Sein Umgang hat mir die wehmütigste Freude gewährt, und mit eben dieser wunderbar gemischten Empfindung denke ich an ihn zurück. Ich bitte Dich mir einmahl den Verlauf Eurer Bekanntschaft mitzutheilen. Es wird Dir gewiß keine unangenehme Beschäftigung seyn, und mich wird es an [2] eine Zeit erinnern, wo ich zum erstenmale etwas deutlicher voraussah, daß ich ewig unbefriedigt seyn würde.
In den Tagen da ich Deinen Brief erhielt, war eben Pape bey mir, der ganz unerwartet von Carlsbad wieder hier durch kam. Er hat Schiller in Carlsbad gut kennen lernen; da dieser gehört daß Pape Dich kenne hat er ihn gebeten, Dich in seinem Namen zu bitten an der Thalia die ietzt von Neuem unter dem Namen; „neue Thalia“ alle zwey Monate einmal herauskommen wird, Mitarbeiter zu seyn. Es wird für den Bogen nie unter 1 Ldr. [Louisdor] und nie über 2 Ldr. [Louisdor] bezahlt. Die Aufsätze, wenn Du anders den Antrag eingehen willst, darfst Du nur an mich schicken, da ich Göschen recht gut kenne. – Ich bin überzeugt daß Dein Aufsatz über den Dante, in der Thalia mehr Aufsehen gemacht haben würde. Einige Complimente habe ich darüber bekommen, aber von keinem Werth. – Betreffl[ich] Tatters Tadel über die aesthetische Schimpferey, wie er es hart aber kurz nennt, stimme ich ganz überein. – Die scholastischen Gelehrten und einige entêtirte Engländer ausgenommen, hat sie wohl niemand so hoch getrieben als Bürger und Bouterweck. – In einigen [3] Deiner frühern Aufsätze herscht sie etwas; aber in dem über den Dante nach meinem Urtheil nur in sehr wenigen Stellen. – Doch liegt es ein wenig in Deinem Charakter, denn es äußert sich auch im Gespräche: manchmal willst Du den der Deine Schönheit nicht anerkennt, bekehren und wenn er nicht willig ist, beschimpftst Du ihn. – Mit dem Tadel über den Ugolino stimmte ich nicht so sehr überein; die Erzählung könnte vielleicht etwas gedrängter seyn; aber was auf die Stelle selbst folgt ist desto vortrefflicher; es gehört unter das Beste was Du geschrieben hast. – Du weißt daß mir in Göttingen der Anfang nicht zu frappant schien; dießmal war ers mir – wenigstens magst Du der B.[öhmer] danken daß die Käuze weggekommen sind. – Du magst nun überlegen, was Du auf Schillers Antrag thun willst. Pape trug mir auf es Dir vorläufig zu schreiben, als wenn er Dir selber schreiben würde. Alsdenn hättest Du eine erwünschte Gelegenheit zur Correspondenz mit ihm. Du weißt aber daß es auch leicht unterbleiben könnte; Du könntest ihm also gleich schreiben, wenn Du anders die Avancen machen willst. Du wirst Deinen Briefton aber modificiren müssen, wenn die Correspondenz Bestand haben soll – wie das mußt [4] Du selbst überlegen. – Was ich neulich über ihn schrieb, hast Du etwas misverstanden; es ging mehr auf den Eindruck den er auf mich machte. – Denn er gehört mir eben so wohl unter die vortrefflichsten die ich kenne. – Ich wünschte daß er noch viel reisen könnte; er ist ein ganz andrer Mensch als zu Hann[over] wo er durch Familienverhältniße und andre unangenehme Dinge fast beständig verstimmt ist. – Er hat gewiß nie aus Carol.[inen] etwas gemacht; aber ich glaube daß sie nicht ganz gleichgültig gegen ihn ist. CR. [Caroline Rehberg] hat Dir nicht geantwortet und mir zur Gesellschaft auch [nicht]; vermuthlich um mir keinen Vorzug zu geben; denn sie ist mir schon weit über die Zeit einen Brief schuldig.
Von meinem Umgange hier, wirst Du Dir schwerlich die rechte Idee machen können. Er ist ziemlich ausgebreitet aber genauer liirt bin ich mit wenigen, am meisten mit Lieut.[enant] v. Berger, einem Manne von Kenntnißen von Ehre und von Welt-Lebensart soweit ich ihn kenne. Meine Art des Umgangs ist der in Göttingen ohngefähr grade entgegengesetzt um die Sache kurz zu sagen obwohl es mir noch sehr ungeläufig ist. Mit Heydenreich bin ich ziemlich genau liirt. Er ist mehr Gelehrter als Philosoph; und in der Aesthetik hat er sich weder als Philosoph noch als wahrer amatore gezeigt. – Doch [5] faute de mieux läßt sich über Beides nicht ohne Intereße mit ihm reden. – Der Kinderfreund hat viel Welt und ist in der schönen Litteratur doch mit fortgerückt. – Nur einen Menschen fand ich noch hier der Gefühl für Poesie hat – ein Kaufmann, und zwar wußte er das erhabene in Götheʼs Prometheus und Schwager Kronos würdig zu schätzen. Diesen werde ich genauer kennen lernen und Dir ihn schildern. – Ich glaube er hat mehr als er weiß; <denn> er drückt sich nur äusserst schwerfällig aus. – Ich habe Kind gesprochen, da er ein paar Tage zum Besuche hier war. Es ist ganz über meine Erwartung ausgefallen. – Es ist mir lieb, damit es meinen Eltern nicht gereut mich hieher geschickt zu haben. – Ich habe ihn <übrigens> lieber zum Gönner als z. B. Heyne. Ich kenne ihn noch nicht genung um zu wissen, warum er sich so lebhaft für mich intereßirt. Lottchen muß mir Aufschluß darüber geben können. – Hast Du in Holland denn nicht einen gefunden von dem sich etwas schreiben ließe? – Sage mir doch etwas vom gesellschaftlichen Leben in A[msterdam] auch vom Theater. Ich bin bisweilen darum gefragt, wenn die Rede darauf kam, daß mein Bruder der Dichter in Amsterdam sey. Du bist doch ziemlich bekannt. Man hat Dich hier allgemein für den Verfaßer des Alfonso und Richard Löwenherz gehalten; das ich denn allenthalben widersprochen. – Dergleichen Dinge wie Du und ich treiben nennen hier die Leute die [6] schenen Wissenschaften: und davon wollen wir uns ietzt unterhalten.
Mein Studium der römischen Geschichte ist schon seit einiger Zeit geendigt. Ich hatte die Absicht zu versuchen ob sich nicht der ganze eigenthümliche Charakter dieser Nation in der Darstellung eines ihrer Heroen und einer ihrer Catastrophen zugleich in einem Bilde vereinigt geben ließe: ein Kunstwerk, welches die thätigste Wirksamkeit dieser Nation in einem Brennpunkte vereinigen würde. – Allein etwas so ganz fremdartiges läßt sich wohl in abstracto erfaßen, aber es in concreto wieder lebendig zu machen, ist schon meinen Kräften ganz unmöglich. – Doch hat mir die Sache viel Vergnügen gewährt. Ich faßte den Gedanken schon vorigen Winter. – Es lag auch der Gedanke dabey zum Grunde – es mit mehrern Nationen auf diese Weise zu versuchen – den Charakter einer jeden in der höchsten Vollkommenheit zu geben, so weit diese in concreto dargestellt werden kann, um so den Geist durch die Betrachtung der verschiedensten Vollkommenheiten immer höher zu führen. – Montesquieu, Ferguson, und Middleton habe ich gelesen. Letzterer ist mir ausserordentlich brauchbar gewesen. <(Herder enthält viel vortreffliches.)>: die ersteren beyden sind doch etwas pedantisch. Unter den alten laß ich vors erste Plutarch, Sueton und Lucan bis ich die Sache aufgab. (Indessen enthält schon Middleton die reichhaltigsten Auszüge aus allen Schriftstellern über die Zeit wo Cicero lebte). Was indessen den [7] Charakter betrifft, da muß man sich selbst forthelfen; auf alle data die dazu führen können, achten und zwar muß man sich ordentlich Regeln darüber machen; und von dem gefundenen muß man dann ohngefähr weiter schließen. Von einigem Nutzen ist mir ein neues Buch von Moritz; Anthusa (ein Beyname von Rom) oder die Feste Roms gewesen. Es gefällt mir besser als die griechische Mythologie, und wenn er so fortfährt, so glaube ich kann er noch sehr gut werden. – Ueberhaupt aber, beyläufig gesagt, glaube ich möchte er wohl den Winckelmann in der Philosophie und in der Gelehrsamkeit machen; die Manier ist nun wohl da, der Geist aber fehlet. – Man sieht aus dem Buche wie sich die Religion der Römer an ihr thätiges Leben auf alle Weise anschloß, an Ackerbau, Krieg, Rechtspflege und Bürgerpflicht. – Die ganze Arbeit hat mich jedoch bereichert; ich habe lebhaft empfunden, daß es unendlich viele Vortrefflichkeiten giebt und zwar ganz verschiedne und entgegengesetzte und in dieser Rücksicht habe ich an der Geschichte der Menschheit sehr vielen Geschmack gewonnen. Es stößt mir aber hier wiederum eine traurige Bemerkung auf, daß so wenig Gutes darin vorhanden, da doch historische Kenntniß aller Art der Liebling <und der Charakter> des Jahrhunderts ist. – Zum Historiker in jedem Fach gehörten erstlich Fleiß und Treue und Ordnung wie die eines Linné; schon dieses ist selten; aber an der Liebe die nothwendig ist fehlt es fast gänzlich in der allgemeinen Engherzigkeit. –
[8] Von Meßprodukten ist mir besonders merkwürdig gewesen Sakontala ein indisches Schauspiel aus dem englischen von G.[eorg] Forster. Aeußerst intereßant wegen der Fremdartigkeit: es sind viele feine Empfindungen darin; die Charaktere sind ein wenig flach; der Dialog und besonders die Handlung haben einen langsamen matten Gang: überall glaubte ich die Spuren des Climas darin zu entdecken. Die Sache hat Lerm gemacht. –
Dein Urtheil über Voltaire gefällt mir sehr gut. Ich habe seit der Zeit noch alle seine kleinen philosophischen Schriften nebst seiner Lebensbeschreibung gelesen. Er scheint ganz eigentlich von der Natur gebildet um Fehler oder eigentlicher – Wiedersprüche zu bemerken; er fühlt sie allenthalben zuerst, und zwar oft in Dingen und Beschäftigungen, deren Geist er gar nicht einsah, besser als tiefe Kenner derselben. – Etwas in Contrast hiemit steht der wunderbare Enthusiasmus für den Lockianismus, der bis zum ridicule geht. – Ich hatte noch vieles über ihn zu sagen, aber grade in diesem Augenblicke will es sich nicht zu Papier bringen lassen. – Ueberhaupt glaube ich – könnte ich großen Geschmack gewinnen an dieser Art der Lectüre – die Schriften und das Leben eines großen Mannes zusammen zu vergleichen, und mir ein Ganzes daraus bilden. Es kann zu vielen Gedanken Anlaß geben – indem man Alles Bemerkte zusammennimmt, so gut als möglich auf etwas gemeinschaftliches zurückführt, indem man dieß weiter ausführt, [9] wie es in der höchsten Vollkommenheit gewesen seyn würde, – indem man sich zu erklären sucht wie es wurde, und wie es sich nach der jedesmaligen äußern Welt modificirte und an sie anschloß, indem man auf die Uebergänge und Aenderungen achtet, oder die Anomalien zu entdecken sucht u.s.w. – Je nach dem es die Eigenthümlichkeit oder die Stimmung des Betrachters mit sich bringt. – Diese Betrachtung erhebt den Betrachtenden selbst, und wirkt thätiger in ihm als Moral oder das Idealschöne der Künste. Die Moral gibt nur Ideale deren Anschauung ganz unmöglich ist, und die nur in abstracto betrachtet werden können. Da Poesie und Mahlerey gewöhnlich auf Eins concentriren (sey es eine Handlung oder ein Charakter oder eine Leidenschaft etc.) so geben sie die Vollkommenheit in idealischen äußern Verhältnißen <oder geben doch nur ein abgerißnes Stück, nie die Vollkommenheit in einem ganzen Menschenleben>. Das Leben eines außerordentlichen Mannes hingegen zeigt eine Vollkommenheit die in die verwickelten Verhältnisse hineingeschaffen, an ein stets wandelbares Wesen befestigt, und gegen den ewigen Wiederstreit unendlich vieler Wesen geschützt ist. Es erhöht also unser eignes Leben mehr als die höchste der Wissenschaften und das schönste der Künste. Der Stoff und die Vollkommenheit die hineingetragen wird, mögen noch so verschieden <seyn>, so sind doch die Schwierigkeiten die der Stoff macht ohngefähr gleich groß; und in der Ueberwindung derselben [10] besteht doch die Hauptsache. – Ich sollte auch denken, daß dieses Studium Dir angemeßner wäre, als das der eigentlichen philosophischen Wissenschaften. – Ich bitte Dich bey allen Heiligen die Arbeit über den Dante nicht liegen zu lassen. Halte Dich lieber bloß an dieß, an Correspondenz, und wenn Du etwa poetische Laune hast – und laß alle übrige eigene Lectüre, die Dich doch wahrlich nicht so erheben kann wie der Dante. – Für das übersandte danke ich recht sehr. – Die Hieroglyphe – die Priesterin – hat meinen ganzen Beyfall; ein einfaches bedeutungsvolles Symbol. Den Lesern des Almanachs wird es wohl so geheimnißreich seyn als eine aegyptische Schrift. Ich wünsche daß Du Lust zum Abschreiben bekommst. Die überschickten Gedichte die zum Druck sind, werde ich Lottchen mittheilen. – Ich sollte Dir wohl mehr über die Gedichte schreiben; vor einigen Tagen hätte ich es auch gethan; gestern und heute aber bin ich gar nicht poetisch, ich habe starkes Kopfweh. –
Hier ist ein Verzeichniß der Bücher die Du verlangst. Schulting Jurisprudentia Ante-Justinianea. Bachii historia juris. Heineccii Antiquitates Rom. Heineccii Institutiones (ed. Bieneri 80. 1789). Höpfners Commentar und Tabellen über die Heineccischen Institutionen 40. Ohne letzteres kannst Du die Institutionen nicht verstehen. Das Studium des römischen Rechts ist äusserst schwierig und verwickelt. Wenn Du die Instit[utionen] selbst studiren oder Unterricht darin geben willst, so kann [11] ich Dir einige Anweisung dazu geben, da ich mir die Sache sehr angelegen habe seyn lassen. –
Du schlägst mir den Burke über die Revolution zur Lectüre vor. Ich habe den Girtanner gelesen, der sehr gut ist <Layen> eine nicht ganz unvollständige Idee zu geben, da er Auszüge aus den wichtigsten Schriften und Papieren enthält, und er sehr unpartheyisch ist. Die Schreibart gefällt mir nicht vorzüglich. – Die ganze Sache intereßirt mich vornehmlich mittelbar nehmlich als Vehikel des Gesprächs mit sehr vielen Leuten. Ein andermal mehr darüber.
Ich wünschte daß Du mir bald wiederschreibst. Ich reise Michaelis nicht nach Dreßden – und brauche Aufmunterung.
Dein Fr. Schlegel.
(abgesandt den 28ten August.)
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