• Friedrich von Schlegel , Friedrich Schleiermacher to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Jena · Date: 15.01.1798
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel, Friedrich Schleiermacher
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Jena
  • Date: 15.01.1798
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 24. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Die Periode des Athenäums (25. Juli 1797 ‒ Ende August 1799). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Raymond Immerwahr. Paderborn 1985, S. 77‒82.
  • Incipit: „[1] B. d. 15. Jan. 98.
    Möge doch Ihrem Bruder recht oft und auf mancherlei Weise übel mitgespielt werden, es bringt [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-34477
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.25,Nr.2
  • Number of Pages: 8 S. auf Doppelbl., hs. m. U
  • Format: 18,7 x 11,5 cm
    Language
  • German
[1] B. d. 15. Jan. 98.
Möge doch Ihrem Bruder recht oft und auf mancherlei Weise übel mitgespielt werden, es bringt die originellsten Einfälle hervor. Hat er mich nicht heute in Gnaden zu seinem expedirenden Cabinets-Secretair ernannt, und mir beim Mittageßen zwischen Suppe und Fleisch brokenweise alles aufgetischt, was ich Ihnen in seinem Namen sagen soll? Unger der nach M[anu]scr[i]pt schreit, und Sie der nach Manuskript schreiben, und wie er mir versichert hat, nicht weniger geschrien haben, haben es richtig so weit gebracht, daß er nicht Zeit findet, selbst an Sie zu schreiben. Das müßen Sie Sich nun gefallen laßen, es ist für Ihren Sturmbrief der ihm übrigens nichts geschadet, und mir das Vergnügen verschaft hat, recht tüchtig über ihn zu lachen, wie er sich im Bett liegend dazu geberdete. Verdient hat er ihn übrigens nicht, denn für den Meister hat er gearbeitet, arbeitet noch und wird arbeiten – bis er fertig ist; aber wie lange, das kann ich freilich nicht verbürgen. Mit [2] den Fragmenten – Sie sehen ich bin schon bei seinen Tisch-Dekreten, und rede bloß als sein Organ ohne irgend etwas verantworten zu wollen – wird er Sie, so bald er Ungers Sezern etwas für den ersten Hunger gegeben hat, zu Ihrer großen Freude überraschen, mit einer großen Masse auf einmal; er spricht von fünf auch sechs Bogen. Anstalten sind wenigstens genug dazu gemacht. Mir hat er, da er mir einen Spaziergang durch seine philosophischen Papiere erlaubte, das onus aufgelegt, daß ich sie, wie ein Trüffelhund habe abtreiben müßen, um Fragmente oder Fragmentensamen aufzuwittern, und er selbst hat viele ganze Tage nichts als Striche gemacht, wie ein Silberprobirer. Alles ist auch nun crayonirt und es darf nur geschrieben werden. Ihre Fragmente haben uns – er hat sie mir vorgelesen – gar viel Freude gemacht. Aufgebläht hat er sich freilich über das Rechta, welches Sie ihm darüber eingeräumt haben, und er will es hiemit förmlich acceptiren, ob er gleich diesmal keinen Gebrauch davon zu machen weiß. Nur über das Fragment von den Fragmenten <,die Menge muß es machenʻ> spricht er das veto, und zu dem vom Mystificiren will er einen kleinen Zusatz machen – [3] wahrscheinlich um das lezte Wort zu behalten – und es soll die Gestalt eines kleinen Dialogs gewinnen, eine Form die den Fragmenten gewiß nicht fremd ist, und wol öfter vorkommen wird. Er vervollkomnet sich übrigens in dieser Gattung immer mehr, und strebt besonders dahin, allesb periodische aus dem Styl zu verbannen, und alles was einer Anrede an den Leser – der für nichts geachtet wird – gleichen könnte. Was den Titel der Fragmente betrift, so meint er kritische und philosophische sei eine Tautologie, ja sogar kritische Fragmente sei schon eine, denn jedes Fragment sei kritisch. Alles gemeinschaftliche Gut, also auch die Fragmentenmaße, schlägt er vor gar nicht zu bezeichnen; was einem einzelnen gehöre mit W. und F. und alles etwanige fremde besonders und kenntlich. Ueber den Titel des Journals ist er mit V.[ieweg] darüber einig, das es nur ein Wort seyn dürfte, und es könnte wol bei dem Athenäum am besten bleiben – dem Hymnus an die Parzen unbeschadet; und es würde also eine kleine prosaische Vorrede eintreten müßen, an die er auch schon gedacht haben will. Mit seinem Wilhelm Meister soll auf jeden Fall angefangen [4] werden. Die Briefe über Shakesp.[ear] scheint er aber auf die lange Bank schieben zu wollen. Er spricht allerlei davon, daß es schon lange her seyn möchte, daß Sie <alle> komischen Sachen von Shakespear gelesen hätten; daß Studien dazu erfordert würden; daß Sie noch nicht einmal einig wären ob ein fester Plan vorher entworfen werden müßte, oder ob Sie Sichc Einflüßen überlaßen wollten. Wenigstens müßten Sie Sich doch in Bausch und Bogen mittheilen, was jeder von dem andern forderte – kurz: sie könnten wohl bis ins dritte Stück bleiben, obgleich sein erster Brief leicht geschrieben wäre, weil er mehr fragen als sagen würde*. Dafür rechnet er desto gewißer auf die grammatischen Gespräche, und meint auch, ob es nicht beßer ware, die literarischen Ansichtend, mit denen Sie Sich doch schon zu beschäftigen schienen, im ersten Stük anzufangen, um die Monotonie zu vermeiden, welche entstehen würde, wenn diese und die philosophischen in demselben Stük anfingen? – Die Charakteristik von Richter, die so gut als fertig ist, und einige ähnliche, welche er mit unter die Fragmente geben wollte, will er unter der Rubrik von Skizzen besonders auswerfen, und nur, wenn es an Füllung gebrechen solltee, mit ins erste Stück nehmen. [5] Was ihm bei ähnlichen Lektüren einfällt, wird er aber von nun an für Sie notiren und Ihnen zum beliebigen Gebrauch für die Ansichten schicken, auch was er bereits über die Agnes – die er Ihrer Frau Gemahlin hiemit leibhaftig übersendet – fragmentisirt hat, und wovon ich Ihnen einige schöne Sächelchen verrathen könnte. Er bittet sie übrigens sehr zum Behuf Ihrer Ansicht von Jean Paul doch ja alles zu lesen <oder doch das Wichtigste – Hesperus, unsichtbare Loge> und besonders auf den Advokat Siebenkaes (auch Blumen- Frucht und Dornenstüke genannt) <und Fixlein auch> zu merkenf). Ihre Aeußerung von freyer Verschiedenheit der Meinungen, auch über die Menschen, welche <in den Ansichten und sonst> angesehen werden, ist ganz in Ihres Bruders Sinn und er fraternisirt deswegen mit Ihnen noch ganz besonders. – Den Lessing** wollte er nicht aus Rücksichten sondern um Ihrem untheilbaren Wieland <den Vorrang und> Raum zu laßen, zurückbehalten; mit Unger, meint er, würde alles gut gehn, weil er durchaus ein Gentleman ist. Gott gebe, daß das von Unger richtig sei! ich wünsche es nur um seines eignen Wolbefindens willen, denn der gute Mann muß den ganzen Aufwand von diesen Eigenschaften, soviel er davon für sein Haus braucht, allein bestreiten: seine Frau unterstüzt ihn darin wenig.
[6] Soviel ich weiß haben die Dekrete über das Journal nun ein Ende. Sie sind mir wenigstens nicht verwirrter aus der Feder gefloßen, wie er sie mir vorgeworfen hat, und Er hatte doch noch Ihre Briefe dazu in Händen. Diese Unordnung kann aber so gut als die Menge beweisen, daß er von dem Journal bei Tag und bei Nacht voll ist, und daß er es noch nicht zur zweiten Potenz gebracht hat, wieder über das, was er darüber reflektirt hat, zu reflektiren.
Folgen nun die vermischten Artikeln.
Tiekg ist freilich nach Ihrem Bruder eigentlich keiner, denn er nennt ihn nur ganz wie den hofnungslosen Jüngling der Deutschen Literatur***. Ihre Form für Tiek meint Ihr Bruder schon eben so vollkommen gefunden zu haben als Sie Tieks Form. Sie schrieben nemlich immer von vortreflich und von 2 Ldʼor; mit dem ersten würde es aber wohl immer Zeit haben, und zum lezten – glaube ich – geht der Weg auch nur durch fortgesetzte Protection. Die Don Quixotte Geschichte ist gar ergözlich und für Eschen bleibt am Ende nichts übrig als daß er die Windmühle ist, die Ihr Bruder – war er je ein irrender Ritter? – fälschlich für etwas beßeres angesehen hat. Tieks Liebe zu Richter scheint mir sehr wohl gegründet zu seyn: er will gern ein Fantast seyn und [7] liebt also sein Ideal. Richter müßte auch Tiek lieben, weil dieser das ist, was ihm fehlt, und wonach er vielleicht nicht immer streben kann.
Goethes Einfall über Klopstok ist ganz göttlich – und es liegt noch so viel drin, was gar nicht einmal gesagt ist – unter andern auch daß Cramer der gottlose Cham ist, der seines Vaters Schaam aufdeckte. Ihre ganze Relation von Goethe und Herder hat mir Schlegel vorgelesen. Was für ein paar köstliche Gegenstücke. Wie kann Herder von dem ,auf andere Art erzählenʻ so leicht wegreden, da er seit langen Jahren nichts fast beginnt als einige Gedanken auf andere Art erzählen? – Doch ich bin in Gefahr aus meinem Sekretariat heraus zufallen, und davor muß ich mich hüten. Wenn Sie nach Berlin kommen, worüber sich aller hiesige Verstand gar sehr freuen wird, dann will ich schon meine eigne Person vorstellen. Viewegs – ich weiß nicht ob sie zum Verstande gehören, aber sie stehn in meiner Instruction – werden aber nicht hierh seyn, wie Madam noch kürzlich mit vielem Bedauern geäußert hat. Er hat Sie nicht sehen können, weil er gradezu, und nicht wie er sich vorgenommen hatte durch Jena gereiset ist. – Ach, aber über Dresden, was habe ich da zu sagen? Viel angenehmes – für [8] mich. Schl.[egel] will hier bleiben und lieber den Winter mit Ihnen nach Jena gehn. Da meint er könne er Sie doch beßer genießeni, als in Dresden. Besonders da er von ihnen abgesondert wohnen sollte. Auch des Arbeitens wegen sei es beßer, denn dort würde doch am Ende nichts werden als – Spaziergänge, und mehr promenirende als literarische. Wie froh war ich – Sie können es mir nicht verargen – als er nach und nach mit diesem Entschluß zu Stande kam. Laßen Sie ihn immer dabei, er muß sonst nur dem Journal Zeit abbrechen, um Ihnen die Gründe davon ausführlich auseinander zu setzen. Er sieht aus, als wenn er deren mehr in Petto hätte, und Sie saßen alle da, wo seine besten Gedanken zu sizen pflegen. Nur laßen Sie michs nicht entgelten, daß ich meinen Auftrag mit dieser Nachricht schließen muß, die Ihnen, wenn Sie die Sache auch bei näherer Ueberlegung wie ich hoffe billigen, doch unangenehm seyn muß. Der Sekretair empfiehlt sich Ihnen vorläufig, bis er die Ehre hat Ihre Bekanntschaft zu machen; vielleicht ist er dann schon avancirt und einer a consiliis internis.
Schleiermacher.

[1] Mach die Grammatischen Gespräche fertig, reflektire über die litterarischen Ansichten, und mach dann ein Stück davon fertig. Bereite Dich vor zum Shakespear und Wieland.
Soll denn Schiller in den litterarischen Ansichten gar nicht genannt werden? Fällt das nicht sehr auf? Geht es an? – Caroline hat einen sehr schönen aber für Annalen der Kunst doch viel zu subjektiven Gesichtspunkt für Romane. Ich könnte noch viele solche απορηματα in Rücksicht auf die litter.[arischen] Ansichten häufen. Wenn Ihr nur gehörig drüber reflektirt, so wird sich alles wohl von selbst ausgleichen. Uebrigens aber glaube ich, daß Du eher mit einer Porzion hievon, als mit auch nur Einem so langen Brief über Sh.[akespear], daß er mit dem ungleich kürzern Einladungsbriefe von mir eine Masse für sich ausmachen kann, fertig werden dürftest bey Deinen übrigen Arbeiten. Ich schreye also Grammatische Gespr.[äche] und Ansichten und dann Wieland und Shakespear.
[8] Die Skizzen von mir können auch ins 3te Stück und nehmen nicht viel Raum ein. Denn im 2ten Stück ist vielleicht schon Ueberfluß.
Warum schreibt Auguste nicht? Das Mädchen scheint hochmüthig zu werden. Hat sie den Sechser als Repräsentant des Kusses empfangen?
Caroline soll Dir am Wieland helfen, sage ich, und wenn sie mütterlich gegen das Athenäum dächte, so hätte sie mir von selbst über W.[ilhelm] M.[eister] geschrieben, <da eine Frau wie Car.[oline] manches auch fühlen kann und mag, was ich nicht fühle und nicht sehe.> – Uebrigens aber quäle sie nur nicht, sonst quält sie auch wieder, wie letzthin genugsam geschehn. Dein Zorn äußerte sich doch poetischer. Was ich Euch so arges geschrieben haben mag am 18ten, weiß ich und errathe ich nicht. Aber ich beschwöre Euch meinen Brief nach dem Geist zu verstehn. Das Journal ist mein Eins und Alles, und seyd darüber nur ganz ruhig.
Ich schließe und schreye zum Schluß. – Klopstockiade – Ansichten – Reflektiren.

[2] a Bey manchem werde ich Dir Vorschläge zu kleinen Aenderungen machen. Kleine Versetzungen um das Periodische zu nehmen, erlaubst Du mir wohl ohne Anfrage? – Viele, ja die meisten finde ich vortrefflich. Ich freue mich recht nicht bloß an den Fr.[agmenten] die da sind, sondern über[3]haupt daß Du welche machst. Es wird auch gewiß beytragen können, Dir in Prosa dieselbe Freyheit zu verschaffen, die Du im poetischen Styl hast. Wegen des Ideenreichthums bin ich gar nicht bange. Du hast Deinem Geiste die Nahrung bisher zu karge zugemessen, aber Du hast doch die Agilität und das selbständige Assimilazionsvermögen, worauf es dabey ankömmt. Wenn das Journal auch nur den Gewinn bringt, daß es Dich nöthigt und Dir Raum läßt mehr Interessantes zu lesen, so ist das unendlich viel gewonnen.

b welches Wilhelm zu vermeiden suchen muß.

[4] c ich bin fürs letzte.

d Daß das über G[oethe]s ly[rische] Gedichte in die Ansichten kommen soll, gefällt mir sehr. Zuerst schien mirs, als ob Ihr die ganze Sache zu leicht nähmt. Doch hat mich Dein letzter Brief beruhigt.

e Nein sie sollen ins 2te. Da sich aber nicht genau bestimmen läßt, wieviel die Fragmente und Wilhelm Meister Raum einnehmen, so mußt Du Eins von beyden, die litterarischen Ansichten, oder das über Klopst[ocks] Gram.[matische] Gespr.[äche] zum 1ten Stück fertigen.

[5] f Uebrigens ist mirs eben recht, wenn auch etwas gegen ihn polemisirt wird. Du scheinst wie recht gemacht dazu, wenn Du die Sache nur nicht zu leicht nimmst; denn eine ernstliche Polemik verdient er, wenigstens so gut wie Wieland.

[6] g Er spatziert wie Reichards denkender Reisender und treibts immer wie Schillers Räuber: Er schreibet dem Schicksal entgegen schnell.

[7] h Vieweg wird wohl hier seyn und Euch, wenn Ihrs wollt, gewiß gern logiren. – Unger nimmt seine Frau mit zur Messe. Oekonomischen Nutzen kann also die gemeinschaftliche Reise nicht haben.

[8] i bleibt auch länger bey Euch.

[4] * Nicht nur im ersten sondern überhaupt, und Sie sollten der D.[ivine] of Sh.[akespearian] Divinity seyn <und ich Priester des Witzes, und der> komischen Orgien.

[5] ** unter <4–> 5 Bogen thut er auch den nicht machen, und macht ihn sicher zum 2ten Stück fertig.

[6] *** Da habe ich selbst geschwabachert, und so fällt mir doch noch ein, daß Schlegel auch gegen das Sperren ist. Es sei nur ein moderantistisches Schwabachern, und er möchte es einmal wagen mit dem Deutschen ohne solche pädagogische Hülfsmittel.
[1] B. d. 15. Jan. 98.
Möge doch Ihrem Bruder recht oft und auf mancherlei Weise übel mitgespielt werden, es bringt die originellsten Einfälle hervor. Hat er mich nicht heute in Gnaden zu seinem expedirenden Cabinets-Secretair ernannt, und mir beim Mittageßen zwischen Suppe und Fleisch brokenweise alles aufgetischt, was ich Ihnen in seinem Namen sagen soll? Unger der nach M[anu]scr[i]pt schreit, und Sie der nach Manuskript schreiben, und wie er mir versichert hat, nicht weniger geschrien haben, haben es richtig so weit gebracht, daß er nicht Zeit findet, selbst an Sie zu schreiben. Das müßen Sie Sich nun gefallen laßen, es ist für Ihren Sturmbrief der ihm übrigens nichts geschadet, und mir das Vergnügen verschaft hat, recht tüchtig über ihn zu lachen, wie er sich im Bett liegend dazu geberdete. Verdient hat er ihn übrigens nicht, denn für den Meister hat er gearbeitet, arbeitet noch und wird arbeiten – bis er fertig ist; aber wie lange, das kann ich freilich nicht verbürgen. Mit [2] den Fragmenten – Sie sehen ich bin schon bei seinen Tisch-Dekreten, und rede bloß als sein Organ ohne irgend etwas verantworten zu wollen – wird er Sie, so bald er Ungers Sezern etwas für den ersten Hunger gegeben hat, zu Ihrer großen Freude überraschen, mit einer großen Masse auf einmal; er spricht von fünf auch sechs Bogen. Anstalten sind wenigstens genug dazu gemacht. Mir hat er, da er mir einen Spaziergang durch seine philosophischen Papiere erlaubte, das onus aufgelegt, daß ich sie, wie ein Trüffelhund habe abtreiben müßen, um Fragmente oder Fragmentensamen aufzuwittern, und er selbst hat viele ganze Tage nichts als Striche gemacht, wie ein Silberprobirer. Alles ist auch nun crayonirt und es darf nur geschrieben werden. Ihre Fragmente haben uns – er hat sie mir vorgelesen – gar viel Freude gemacht. Aufgebläht hat er sich freilich über das Rechta, welches Sie ihm darüber eingeräumt haben, und er will es hiemit förmlich acceptiren, ob er gleich diesmal keinen Gebrauch davon zu machen weiß. Nur über das Fragment von den Fragmenten <,die Menge muß es machenʻ> spricht er das veto, und zu dem vom Mystificiren will er einen kleinen Zusatz machen – [3] wahrscheinlich um das lezte Wort zu behalten – und es soll die Gestalt eines kleinen Dialogs gewinnen, eine Form die den Fragmenten gewiß nicht fremd ist, und wol öfter vorkommen wird. Er vervollkomnet sich übrigens in dieser Gattung immer mehr, und strebt besonders dahin, allesb periodische aus dem Styl zu verbannen, und alles was einer Anrede an den Leser – der für nichts geachtet wird – gleichen könnte. Was den Titel der Fragmente betrift, so meint er kritische und philosophische sei eine Tautologie, ja sogar kritische Fragmente sei schon eine, denn jedes Fragment sei kritisch. Alles gemeinschaftliche Gut, also auch die Fragmentenmaße, schlägt er vor gar nicht zu bezeichnen; was einem einzelnen gehöre mit W. und F. und alles etwanige fremde besonders und kenntlich. Ueber den Titel des Journals ist er mit V.[ieweg] darüber einig, das es nur ein Wort seyn dürfte, und es könnte wol bei dem Athenäum am besten bleiben – dem Hymnus an die Parzen unbeschadet; und es würde also eine kleine prosaische Vorrede eintreten müßen, an die er auch schon gedacht haben will. Mit seinem Wilhelm Meister soll auf jeden Fall angefangen [4] werden. Die Briefe über Shakesp.[ear] scheint er aber auf die lange Bank schieben zu wollen. Er spricht allerlei davon, daß es schon lange her seyn möchte, daß Sie <alle> komischen Sachen von Shakespear gelesen hätten; daß Studien dazu erfordert würden; daß Sie noch nicht einmal einig wären ob ein fester Plan vorher entworfen werden müßte, oder ob Sie Sichc Einflüßen überlaßen wollten. Wenigstens müßten Sie Sich doch in Bausch und Bogen mittheilen, was jeder von dem andern forderte – kurz: sie könnten wohl bis ins dritte Stück bleiben, obgleich sein erster Brief leicht geschrieben wäre, weil er mehr fragen als sagen würde*. Dafür rechnet er desto gewißer auf die grammatischen Gespräche, und meint auch, ob es nicht beßer ware, die literarischen Ansichtend, mit denen Sie Sich doch schon zu beschäftigen schienen, im ersten Stük anzufangen, um die Monotonie zu vermeiden, welche entstehen würde, wenn diese und die philosophischen in demselben Stük anfingen? – Die Charakteristik von Richter, die so gut als fertig ist, und einige ähnliche, welche er mit unter die Fragmente geben wollte, will er unter der Rubrik von Skizzen besonders auswerfen, und nur, wenn es an Füllung gebrechen solltee, mit ins erste Stück nehmen. [5] Was ihm bei ähnlichen Lektüren einfällt, wird er aber von nun an für Sie notiren und Ihnen zum beliebigen Gebrauch für die Ansichten schicken, auch was er bereits über die Agnes – die er Ihrer Frau Gemahlin hiemit leibhaftig übersendet – fragmentisirt hat, und wovon ich Ihnen einige schöne Sächelchen verrathen könnte. Er bittet sie übrigens sehr zum Behuf Ihrer Ansicht von Jean Paul doch ja alles zu lesen <oder doch das Wichtigste – Hesperus, unsichtbare Loge> und besonders auf den Advokat Siebenkaes (auch Blumen- Frucht und Dornenstüke genannt) <und Fixlein auch> zu merkenf). Ihre Aeußerung von freyer Verschiedenheit der Meinungen, auch über die Menschen, welche <in den Ansichten und sonst> angesehen werden, ist ganz in Ihres Bruders Sinn und er fraternisirt deswegen mit Ihnen noch ganz besonders. – Den Lessing** wollte er nicht aus Rücksichten sondern um Ihrem untheilbaren Wieland <den Vorrang und> Raum zu laßen, zurückbehalten; mit Unger, meint er, würde alles gut gehn, weil er durchaus ein Gentleman ist. Gott gebe, daß das von Unger richtig sei! ich wünsche es nur um seines eignen Wolbefindens willen, denn der gute Mann muß den ganzen Aufwand von diesen Eigenschaften, soviel er davon für sein Haus braucht, allein bestreiten: seine Frau unterstüzt ihn darin wenig.
[6] Soviel ich weiß haben die Dekrete über das Journal nun ein Ende. Sie sind mir wenigstens nicht verwirrter aus der Feder gefloßen, wie er sie mir vorgeworfen hat, und Er hatte doch noch Ihre Briefe dazu in Händen. Diese Unordnung kann aber so gut als die Menge beweisen, daß er von dem Journal bei Tag und bei Nacht voll ist, und daß er es noch nicht zur zweiten Potenz gebracht hat, wieder über das, was er darüber reflektirt hat, zu reflektiren.
Folgen nun die vermischten Artikeln.
Tiekg ist freilich nach Ihrem Bruder eigentlich keiner, denn er nennt ihn nur ganz wie den hofnungslosen Jüngling der Deutschen Literatur***. Ihre Form für Tiek meint Ihr Bruder schon eben so vollkommen gefunden zu haben als Sie Tieks Form. Sie schrieben nemlich immer von vortreflich und von 2 Ldʼor; mit dem ersten würde es aber wohl immer Zeit haben, und zum lezten – glaube ich – geht der Weg auch nur durch fortgesetzte Protection. Die Don Quixotte Geschichte ist gar ergözlich und für Eschen bleibt am Ende nichts übrig als daß er die Windmühle ist, die Ihr Bruder – war er je ein irrender Ritter? – fälschlich für etwas beßeres angesehen hat. Tieks Liebe zu Richter scheint mir sehr wohl gegründet zu seyn: er will gern ein Fantast seyn und [7] liebt also sein Ideal. Richter müßte auch Tiek lieben, weil dieser das ist, was ihm fehlt, und wonach er vielleicht nicht immer streben kann.
Goethes Einfall über Klopstok ist ganz göttlich – und es liegt noch so viel drin, was gar nicht einmal gesagt ist – unter andern auch daß Cramer der gottlose Cham ist, der seines Vaters Schaam aufdeckte. Ihre ganze Relation von Goethe und Herder hat mir Schlegel vorgelesen. Was für ein paar köstliche Gegenstücke. Wie kann Herder von dem ,auf andere Art erzählenʻ so leicht wegreden, da er seit langen Jahren nichts fast beginnt als einige Gedanken auf andere Art erzählen? – Doch ich bin in Gefahr aus meinem Sekretariat heraus zufallen, und davor muß ich mich hüten. Wenn Sie nach Berlin kommen, worüber sich aller hiesige Verstand gar sehr freuen wird, dann will ich schon meine eigne Person vorstellen. Viewegs – ich weiß nicht ob sie zum Verstande gehören, aber sie stehn in meiner Instruction – werden aber nicht hierh seyn, wie Madam noch kürzlich mit vielem Bedauern geäußert hat. Er hat Sie nicht sehen können, weil er gradezu, und nicht wie er sich vorgenommen hatte durch Jena gereiset ist. – Ach, aber über Dresden, was habe ich da zu sagen? Viel angenehmes – für [8] mich. Schl.[egel] will hier bleiben und lieber den Winter mit Ihnen nach Jena gehn. Da meint er könne er Sie doch beßer genießeni, als in Dresden. Besonders da er von ihnen abgesondert wohnen sollte. Auch des Arbeitens wegen sei es beßer, denn dort würde doch am Ende nichts werden als – Spaziergänge, und mehr promenirende als literarische. Wie froh war ich – Sie können es mir nicht verargen – als er nach und nach mit diesem Entschluß zu Stande kam. Laßen Sie ihn immer dabei, er muß sonst nur dem Journal Zeit abbrechen, um Ihnen die Gründe davon ausführlich auseinander zu setzen. Er sieht aus, als wenn er deren mehr in Petto hätte, und Sie saßen alle da, wo seine besten Gedanken zu sizen pflegen. Nur laßen Sie michs nicht entgelten, daß ich meinen Auftrag mit dieser Nachricht schließen muß, die Ihnen, wenn Sie die Sache auch bei näherer Ueberlegung wie ich hoffe billigen, doch unangenehm seyn muß. Der Sekretair empfiehlt sich Ihnen vorläufig, bis er die Ehre hat Ihre Bekanntschaft zu machen; vielleicht ist er dann schon avancirt und einer a consiliis internis.
Schleiermacher.

[1] Mach die Grammatischen Gespräche fertig, reflektire über die litterarischen Ansichten, und mach dann ein Stück davon fertig. Bereite Dich vor zum Shakespear und Wieland.
Soll denn Schiller in den litterarischen Ansichten gar nicht genannt werden? Fällt das nicht sehr auf? Geht es an? – Caroline hat einen sehr schönen aber für Annalen der Kunst doch viel zu subjektiven Gesichtspunkt für Romane. Ich könnte noch viele solche απορηματα in Rücksicht auf die litter.[arischen] Ansichten häufen. Wenn Ihr nur gehörig drüber reflektirt, so wird sich alles wohl von selbst ausgleichen. Uebrigens aber glaube ich, daß Du eher mit einer Porzion hievon, als mit auch nur Einem so langen Brief über Sh.[akespear], daß er mit dem ungleich kürzern Einladungsbriefe von mir eine Masse für sich ausmachen kann, fertig werden dürftest bey Deinen übrigen Arbeiten. Ich schreye also Grammatische Gespr.[äche] und Ansichten und dann Wieland und Shakespear.
[8] Die Skizzen von mir können auch ins 3te Stück und nehmen nicht viel Raum ein. Denn im 2ten Stück ist vielleicht schon Ueberfluß.
Warum schreibt Auguste nicht? Das Mädchen scheint hochmüthig zu werden. Hat sie den Sechser als Repräsentant des Kusses empfangen?
Caroline soll Dir am Wieland helfen, sage ich, und wenn sie mütterlich gegen das Athenäum dächte, so hätte sie mir von selbst über W.[ilhelm] M.[eister] geschrieben, <da eine Frau wie Car.[oline] manches auch fühlen kann und mag, was ich nicht fühle und nicht sehe.> – Uebrigens aber quäle sie nur nicht, sonst quält sie auch wieder, wie letzthin genugsam geschehn. Dein Zorn äußerte sich doch poetischer. Was ich Euch so arges geschrieben haben mag am 18ten, weiß ich und errathe ich nicht. Aber ich beschwöre Euch meinen Brief nach dem Geist zu verstehn. Das Journal ist mein Eins und Alles, und seyd darüber nur ganz ruhig.
Ich schließe und schreye zum Schluß. – Klopstockiade – Ansichten – Reflektiren.

[2] a Bey manchem werde ich Dir Vorschläge zu kleinen Aenderungen machen. Kleine Versetzungen um das Periodische zu nehmen, erlaubst Du mir wohl ohne Anfrage? – Viele, ja die meisten finde ich vortrefflich. Ich freue mich recht nicht bloß an den Fr.[agmenten] die da sind, sondern über[3]haupt daß Du welche machst. Es wird auch gewiß beytragen können, Dir in Prosa dieselbe Freyheit zu verschaffen, die Du im poetischen Styl hast. Wegen des Ideenreichthums bin ich gar nicht bange. Du hast Deinem Geiste die Nahrung bisher zu karge zugemessen, aber Du hast doch die Agilität und das selbständige Assimilazionsvermögen, worauf es dabey ankömmt. Wenn das Journal auch nur den Gewinn bringt, daß es Dich nöthigt und Dir Raum läßt mehr Interessantes zu lesen, so ist das unendlich viel gewonnen.

b welches Wilhelm zu vermeiden suchen muß.

[4] c ich bin fürs letzte.

d Daß das über G[oethe]s ly[rische] Gedichte in die Ansichten kommen soll, gefällt mir sehr. Zuerst schien mirs, als ob Ihr die ganze Sache zu leicht nähmt. Doch hat mich Dein letzter Brief beruhigt.

e Nein sie sollen ins 2te. Da sich aber nicht genau bestimmen läßt, wieviel die Fragmente und Wilhelm Meister Raum einnehmen, so mußt Du Eins von beyden, die litterarischen Ansichten, oder das über Klopst[ocks] Gram.[matische] Gespr.[äche] zum 1ten Stück fertigen.

[5] f Uebrigens ist mirs eben recht, wenn auch etwas gegen ihn polemisirt wird. Du scheinst wie recht gemacht dazu, wenn Du die Sache nur nicht zu leicht nimmst; denn eine ernstliche Polemik verdient er, wenigstens so gut wie Wieland.

[6] g Er spatziert wie Reichards denkender Reisender und treibts immer wie Schillers Räuber: Er schreibet dem Schicksal entgegen schnell.

[7] h Vieweg wird wohl hier seyn und Euch, wenn Ihrs wollt, gewiß gern logiren. – Unger nimmt seine Frau mit zur Messe. Oekonomischen Nutzen kann also die gemeinschaftliche Reise nicht haben.

[8] i bleibt auch länger bey Euch.

[4] * Nicht nur im ersten sondern überhaupt, und Sie sollten der D.[ivine] of Sh.[akespearian] Divinity seyn <und ich Priester des Witzes, und der> komischen Orgien.

[5] ** unter <4–> 5 Bogen thut er auch den nicht machen, und macht ihn sicher zum 2ten Stück fertig.

[6] *** Da habe ich selbst geschwabachert, und so fällt mir doch noch ein, daß Schlegel auch gegen das Sperren ist. Es sei nur ein moderantistisches Schwabachern, und er möchte es einmal wagen mit dem Deutschen ohne solche pädagogische Hülfsmittel.
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