Ich kann Ew. Hochwohlgeboren nicht lebhaft genug ausdrücken, wie sehr es mich freut, daß Sie gerade allgemeine Betrachtungen über das Studium der Asiatischen Sprachen zum Gegenstande einer eigenen Schrift gemacht haben, und mit welchem Vergnügen ich der Belehrung entgegensehe, welche auch ich daraus schöpfen werde. Denn wenn auch Ew. Hochwohlgeboren sagen, daß Ihre Arbeit zunächst für das Englische Publicum bestimmt ist, so wird sie darum für das Deutsche nicht weniger anziehend und wichtig seyn.
Seitdem ich mich mehr mit Asiatischen Sprachen beschäftigt habe, welche nicht als herstammend von dem Sanskrit angesehen werden können, gelange ich immer mehr zu der Ueberzeugung, daß, um die Natur und das Wesen des Sanskrits und sein wahres Verhältniß zu den Asiatischen Sprachen überhaupt einzusehen, man es auf der einen Seite mit den von ihm abstammenden Sprachen, allein auf der andern auch mit denjenigen vergleichen muß, welche Wurzeln und selbst grammatische Verhältnisse mit ihm gemein haben, welche [aber] nicht aus ihm hervorgegangen sind. Denn in den meisten Sprachen des südlichen Asiens, namentlich denen des Decan, der Javanischen, Tagalischen, Madecassischen u. s. w., ist eine doppelte Verwandtschaft mit dem Indischen sichtbar, einmal eine sehr spät entstandene, dann aber eine sich in das Dunkel des Ursprungs jeder Sprache verhüllende. Auch in den Alphabeten muß man die gleichförmige, offenbar spätere Sanskritische Anordnung von der früheren, oft sehr von der Indischen abweichenden Lautbezeichnung unterscheiden. [2] Im Sanskrit selbst sind aber Spuren einer früheren, dem Bau jener Sprachen nicht so unähnlichen Organisation bei weitem nicht erloschen. Ueber den Zustand der Sprachen, der sich aus dem Sanskrit ableiten läßt, werden die Aufklärungen des Zend, und wenn einmal jemand darüber kommt, des Armenischen ein großes Licht verbreiten. Gewiß finden auch Ew. Hochwohlgeboren die Arbeiten Burnoufs über das Zend trefflich und wahrhaft bewundernswürdig. Dagegen ist über die Sprachen, von welchen ich sagen möchte, daß sie zum Sanskrit hinführen können, noch überaus wenig, oder eigentlich so gut als nichts geliefert worden.
Daß die Fortsetzung des Drucks Ihres Ramayana die Schwierigkeiten findet, von welchen Sie mir schreiben, schmerzt mich ungemein. Man sollte Ihnen diese Schwierigkeiten auf alle Weise erleichtern. Ich fühle aber freilich, daß dies auch Hindernisse findet. Der Fehler davon, wie von der Schwierigkeit Kunstwerke zu kaufen, liegt in dem Grunde, daß kein Fonds ausgesetzt ist, von welchem man ganz regelmäßig wissenschaftliche Unternehmungen unterstützen könnte. Jetzt müssen immer einzelne Anträge, welche das Finanz-Ministerium unterstützen muß, beim Könige geschehen, und an dieser doppelten Klippe scheitern dann die wichtigsten Dinge, deren Nützlichkeit aber sich nicht jedem begreiflich machen läßt. Wäre das Sanskritstudium nicht in England ganz und gar vernachlässigt, so müßte eine innerlich und äußerlich so vortrefflich ausgestattete Ausgabe, als Ihr Ramayana ist, in England einen bedeutenden Absatz finden. Ich habe den ersten Band ganz durchgelesen, und wirklich nur bei sehr wenigen Stellen Anstoß gefunden; so vortrefflich hat Ihre Ausgabe das Verständniß auch [3] dem weniger Kundigen erleichtert. Auf Ihre Sacherklärungen bin ich äußerst begierig. Werden Sie aber nicht auch grammatische Bemerkungen hinzufügen? Ich habe bemerkt, daß Sie von einigen Dingen, die ich für allgemeine Regel gehalten habe, abgewichen sind, was Sie gewiß nicht ohne Grund gethan haben.
Ew. Hochwohlgeboren haben die Güte mich nach meinen Arbeiten zu fragen. Sie werden in Kurzem eine Abhandlung von mir bekommen, in der ich auseinandersetze, daß in einigen Sprachen die Pronomina Ich, Du, Er aus den Ortsadverbien hic, istic, illic entstanden sind, und daß andre Sprachen diese Begriffe mit einander vertauschen. Sie sehen, daß ich immer noch bei dem Druckenlassen meiner akademischen Abhandlungen bin. Auch möchte ich nicht sagen, ob ich je zu etwas Größerem kommen werde. Wenn Sie meinen Briefwechsel mit Schiller bald einmal in die Hand nehmen, so werden Sie sehen, was Schiller, wie ich glaube, nur zu sehr mit Recht über meine Schriftstellerei prophezeit. Dieser Briefwechsel wird jetzt gedruckt, und ich lasse ihm eine Vorerinnerung über Schiller und den Gang seiner Geistesentwickelung vorangehen. Dies ist die letzte kleine Arbeit, die ich gemacht habe. Im Briefwechsel selbst glaube ich alle Stellen vertilgt zu haben, die irgend jemanden verletzen könnten, so wie alle, welche gar kein allgemeines Interesse darbieten. Er ist daher ungeheuer zusammengeschmolzen und wird kaum einen mäßigen Octav-Band ausmachen.
Ew. Hochwohlgeboren erwähnen abermals der höchst unverständigen und ungebührlichen Stelle in der Staatszeitung. Ihre Verdienste um [4] das Indische, und nicht bloß um dieses, sondern auch um jeden Zweig gerade derjenigen Literatur, welche am meisten auf die Geistescultur einwirkt, sind zu sichtbar, und wirklich zu anerkannt, als daß Sie von solchen Aeußerungen auch nur Notiz nehmen sollten. Ich habe wirklich jene Stelle nur erst aus Ihrem Briefe kennen gelernt. Keine Seele hatte mir davon gesprochen. Wer giebt auf politische Zeitungen, wenn sie vom Indischen und Chinesischen reden? – Dem armen Bopp thun Sie gewiß Unrecht, wenn Sie glauben, daß er um die Stelle vor dem Drucke gewußt hat. Ob sie von einem seiner Schüler herrührt? weiß ich nicht. Es mag wohl seyn, allein auch dieser dachte wahrscheinlich nur dabei an die Grammatik, das Wörterbuch, die wohlfeilen Ausgaben der Episoden, kurz an die Hülfsmittel, durch welche das Studium den Anfängern erleichtert ist.
Leben Sie recht wohl und nehmen Sie die erneuerte Versicherung meiner hochachtungsvollsten und freundschaftlichsten Ergebenheit an.
Ottmachau, den 11ten Juni 1830.
Humboldt.