• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Dresden · Place of Destination: Amsterdam · Date: 13.04.1792
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Dresden
  • Place of Destination: Amsterdam
  • Date: 13.04.1792
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 48‒50.
  • Incipit: „[1] Dreßden den 13ten April 1792.
    Dein Schicksal ist auch über mich gekommen – freundliche Gesichter zu machen und Langeweile im Herzen [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34186
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.a,Nr.10
  • Number of Pages: 7S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,9 x 11,4 cm
    Language
  • German
[1] Dreßden den 13ten April 1792.
Dein Schicksal ist auch über mich gekommen – freundliche Gesichter zu machen und Langeweile im Herzen zu haben. Schenke mir das Aufzählen aller der wichtigen Kleinigkeiten, oder kleinen Wichtigkeiten, die eine ruhige Antwort auf einen solchen Brief so lange zurückhielten. Das wichtigste ist meine Rechtfertigung auf Deinen harten Vorwurf des Mangels an Menschlichkeit. Ich kann ihn nur dadurch beantworten, daß ich Dich selbst bitte, nur den Sinn meines ganzen Briefs zu nehmen, darin Du gewiß Achtung für B.[öhmer] sehen wirst. Beleidigt dieser Sinn des ganzen die Menschlichkeit, so bitte ich Dich das Papier ins Feuer zu werfen, wenn auch noch mehr scharfe Blicke darin wären, als Du gefunden. – Wenn aber nur ein einzelnes Wort mit diesem Sinn streitet – so erwäge, daß der Brief nicht in froher Ruhe geschrieben ist. Nur der Sinn des ganzen ist mein, nur diesen erkenne ich; das äußre trägt die Spur [2] der gepreßten Lage in der mein Herz sich fast immer ängstigt. – Du wirst mir aber verzeihen, nur das mit <innerstem> Scharfsinn zu untersuchen, was sie Dir ist, das was sie an sich ist nur mit dem Intereße, den ein großer <und neuer> Gegenstand giebt. Hier sehe ich noch immer mehr Verlangen nach dem Vergnügen die erste Stelle zu haben, als nach Liebe. – Es sind in Deinem letzten Briefe so viele neue Beweise Deiner Menschlichkeit, und so viel neue Gründe die Sache nur von der Seite anzusehen. – Doch mag ich den wahren Gesichtspunkt vielleicht ganz verfehlt haben, und ist dieß, so ist Deine halbe Eröffnung daran schuld. – Noch einen Vorwurf muß ich heben. – Unser Wesen ist <freilich> der Grund unsrer Handlungen. Doch glaube ich, wirst Du nie sagen; Du sollst verderben, weil ich so bin, oder Du bist gering, weil ich so denke: und nur dieß habe ich getadelt. Um alles in einem Worte zu fassen, was ich darüber [3] zu sagen habe, ich tadle sie nicht deshalb, weswegen Du sie verlassen hast sondern ich halte die Verbindung <mit ihr> einem Manne für gefährlich, wegen ihrer Neigung sich huldigen zu lassen. Sie steht doch in großer Achtung bey mir, diese Neigung ist nur eine Abart des Edelsten. – Ich überlasse es nun Dir, zu beurtheilen, ob ich Dich verstehe, und ob Du Recht thatst mich zum halben Vertrauten zu machen, und mir dadurch Offenherzigkeit aufzulegen.
[4] Hier ist itzt meine Hauptbeschäftigung einen jungen Menschen alle Künste der Geselligkeit zu lehren – zu sprechen ohne zu denken – Freude zu geben, ohne sie zu haben – alles zu aller Zeit seyn können – die Tiefen des Herzens zu ergründen – schnell in einer neuen Lage, was unser Wesen erfordert, zu bestimmen – geduldig zu tragen – Funken aus Wasser zu locken. – Dazu machte ihn die Natur nicht; stumm, gleichgültig, blöde und arrogant fängt er seine unverständlichen Reden gewöhnlich mit den Worten an, die die Langeweile sich ganz zu eigen gemacht hat. – Er weiß nicht was ihm auf die Dauer gefällt; launenhaft, heftig, und treu. Jetzt glaube ich wünschte er, daß <ihm> eine schöne Frau durch bewundernde Liebe zugesichert würde. – Ich versorge ihn denn reichlich mit Regeln und Idealen, den Resultaten meines aller[5]tiefsten Nachdenkens, die ihn wenigstens – beschäftigen. Dießmahl hoffe ich weißt Du von wem ich rede, ob Du gleich letzthin fragen konntest ob Hardenberg Aehnlichkeit mit Voltmann habe? H[ardenberg] ist rasch bis zur Wildheit, immer voll thätiger unruhiger Freude. Ich habe ihn nicht durchgelesen. Ich lese zwar schnell, aber nicht alle Bücher. – Die Freude über den unerwarteten Fund war <wohl> das schönste, weil ich ihm nicht viel seyn kann; <denn> er weiß noch nicht, was er an mir haben könnte.
Für dießmahl kann ich Dich nicht mit Nachrichten von Büchern speisen. Ich lese seit einigen Monaten nur aus Pflicht – und ich habe einen solchen Büchereckel, daß ich vielleicht den ganzen Sommer nichts lesen werde, – Daß ich Göthens Cophta matt gefunden, habe ich Dir <glaube ich> schon geschrieben, so wie über Klingers [6] Faust. Die Meßwaare kömmt erst in einigen Wochen. – Gestern sahe ich Christian Stollberg, da aber alles was ich von ihm sah, nichts sagte, so brauche ich auch nichts von ihm zu sagen. – Morgen werde ich Schiller sehen. Er wohnt bey Körners, wo ich gut bekannt bin. Davon im nächsten.
Bout[erwecks] Recensent sagt die Wahrheit; sein Werk sei ein haltloses Gemisch ermarterter Ueberspannung und angebohrner Plattheit. – Dem stimme ich bey und dehne es auf sein ganzes Wesen aus. Sonst ist die Recension schlecht. – Wenn Du mit Eifer an den Dante gehen willst, mein Bester, so will ich ihn den Sommer wiederlesen und Dir einen vortreflichen Brief darüber schreiben. Vernünftiges wirst Du so nicht viel hören, bis ich nach Leipzig komme. Dafür wirst Du den Sommer aber oft von mir hören. Den letzten Monat in Leipzig habe ich durch Arbeiten mich ganz abgespannt – und hier sind es nur andre. Mit meinen Aussichten läßt es sich recht gut an, [7] und mit Ernsts bin ich auch auf einem guten Fuß. –
Den Kunstwerken widme ich alle Zeit die mir die Menschen übrig lassen. Meine Gedanken darüber von Pillnitz oder von Leipzig.
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[1] Dreßden den 13ten April 1792.
Dein Schicksal ist auch über mich gekommen – freundliche Gesichter zu machen und Langeweile im Herzen zu haben. Schenke mir das Aufzählen aller der wichtigen Kleinigkeiten, oder kleinen Wichtigkeiten, die eine ruhige Antwort auf einen solchen Brief so lange zurückhielten. Das wichtigste ist meine Rechtfertigung auf Deinen harten Vorwurf des Mangels an Menschlichkeit. Ich kann ihn nur dadurch beantworten, daß ich Dich selbst bitte, nur den Sinn meines ganzen Briefs zu nehmen, darin Du gewiß Achtung für B.[öhmer] sehen wirst. Beleidigt dieser Sinn des ganzen die Menschlichkeit, so bitte ich Dich das Papier ins Feuer zu werfen, wenn auch noch mehr scharfe Blicke darin wären, als Du gefunden. – Wenn aber nur ein einzelnes Wort mit diesem Sinn streitet – so erwäge, daß der Brief nicht in froher Ruhe geschrieben ist. Nur der Sinn des ganzen ist mein, nur diesen erkenne ich; das äußre trägt die Spur [2] der gepreßten Lage in der mein Herz sich fast immer ängstigt. – Du wirst mir aber verzeihen, nur das mit <innerstem> Scharfsinn zu untersuchen, was sie Dir ist, das was sie an sich ist nur mit dem Intereße, den ein großer <und neuer> Gegenstand giebt. Hier sehe ich noch immer mehr Verlangen nach dem Vergnügen die erste Stelle zu haben, als nach Liebe. – Es sind in Deinem letzten Briefe so viele neue Beweise Deiner Menschlichkeit, und so viel neue Gründe die Sache nur von der Seite anzusehen. – Doch mag ich den wahren Gesichtspunkt vielleicht ganz verfehlt haben, und ist dieß, so ist Deine halbe Eröffnung daran schuld. – Noch einen Vorwurf muß ich heben. – Unser Wesen ist <freilich> der Grund unsrer Handlungen. Doch glaube ich, wirst Du nie sagen; Du sollst verderben, weil ich so bin, oder Du bist gering, weil ich so denke: und nur dieß habe ich getadelt. Um alles in einem Worte zu fassen, was ich darüber [3] zu sagen habe, ich tadle sie nicht deshalb, weswegen Du sie verlassen hast sondern ich halte die Verbindung <mit ihr> einem Manne für gefährlich, wegen ihrer Neigung sich huldigen zu lassen. Sie steht doch in großer Achtung bey mir, diese Neigung ist nur eine Abart des Edelsten. – Ich überlasse es nun Dir, zu beurtheilen, ob ich Dich verstehe, und ob Du Recht thatst mich zum halben Vertrauten zu machen, und mir dadurch Offenherzigkeit aufzulegen.
[4] Hier ist itzt meine Hauptbeschäftigung einen jungen Menschen alle Künste der Geselligkeit zu lehren – zu sprechen ohne zu denken – Freude zu geben, ohne sie zu haben – alles zu aller Zeit seyn können – die Tiefen des Herzens zu ergründen – schnell in einer neuen Lage, was unser Wesen erfordert, zu bestimmen – geduldig zu tragen – Funken aus Wasser zu locken. – Dazu machte ihn die Natur nicht; stumm, gleichgültig, blöde und arrogant fängt er seine unverständlichen Reden gewöhnlich mit den Worten an, die die Langeweile sich ganz zu eigen gemacht hat. – Er weiß nicht was ihm auf die Dauer gefällt; launenhaft, heftig, und treu. Jetzt glaube ich wünschte er, daß <ihm> eine schöne Frau durch bewundernde Liebe zugesichert würde. – Ich versorge ihn denn reichlich mit Regeln und Idealen, den Resultaten meines aller[5]tiefsten Nachdenkens, die ihn wenigstens – beschäftigen. Dießmahl hoffe ich weißt Du von wem ich rede, ob Du gleich letzthin fragen konntest ob Hardenberg Aehnlichkeit mit Voltmann habe? H[ardenberg] ist rasch bis zur Wildheit, immer voll thätiger unruhiger Freude. Ich habe ihn nicht durchgelesen. Ich lese zwar schnell, aber nicht alle Bücher. – Die Freude über den unerwarteten Fund war <wohl> das schönste, weil ich ihm nicht viel seyn kann; <denn> er weiß noch nicht, was er an mir haben könnte.
Für dießmahl kann ich Dich nicht mit Nachrichten von Büchern speisen. Ich lese seit einigen Monaten nur aus Pflicht – und ich habe einen solchen Büchereckel, daß ich vielleicht den ganzen Sommer nichts lesen werde, – Daß ich Göthens Cophta matt gefunden, habe ich Dir <glaube ich> schon geschrieben, so wie über Klingers [6] Faust. Die Meßwaare kömmt erst in einigen Wochen. – Gestern sahe ich Christian Stollberg, da aber alles was ich von ihm sah, nichts sagte, so brauche ich auch nichts von ihm zu sagen. – Morgen werde ich Schiller sehen. Er wohnt bey Körners, wo ich gut bekannt bin. Davon im nächsten.
Bout[erwecks] Recensent sagt die Wahrheit; sein Werk sei ein haltloses Gemisch ermarterter Ueberspannung und angebohrner Plattheit. – Dem stimme ich bey und dehne es auf sein ganzes Wesen aus. Sonst ist die Recension schlecht. – Wenn Du mit Eifer an den Dante gehen willst, mein Bester, so will ich ihn den Sommer wiederlesen und Dir einen vortreflichen Brief darüber schreiben. Vernünftiges wirst Du so nicht viel hören, bis ich nach Leipzig komme. Dafür wirst Du den Sommer aber oft von mir hören. Den letzten Monat in Leipzig habe ich durch Arbeiten mich ganz abgespannt – und hier sind es nur andre. Mit meinen Aussichten läßt es sich recht gut an, [7] und mit Ernsts bin ich auch auf einem guten Fuß. –
Den Kunstwerken widme ich alle Zeit die mir die Menschen übrig lassen. Meine Gedanken darüber von Pillnitz oder von Leipzig.
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